Herbert George Wells

Die Zeitmaschine

SF. dtv, München. 148 Seiten. 7.50 EUR . ISBN: 342312234X

Angewandte Evolutionstheorie: Eloi, Morlocks, Zeitreisender
Herbert George  Wells: Die Zeitmaschine

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Der Zeitreisende, den H.G. Wells als erster in die Zukunft schickt, erlebt sehr viel mehr - und zugleich weniger - als in den bislang zwei Verfilmungen seines erfolgreichen Romans geschildert wird. Was aber meist weggelassen wird, sondern die Gedanken, die sich der wissenschaftlich gebildete Voyageur über die Evolution von Mensch und Universum macht. Keineswegs dogmatisch verbohrt, stellt er immer wieder eine Theorie auf, nur um sie unter dem Druck neuer Phänomene sofort zu revidieren, wohlwissend, dass sie nur Modelle sein können, um eine ungewöhnliche Situation zu beschreiben. Dabei fällt er ironischerweise selbst auf die primitivste Stufe der menschlichen Kultur zurück...

Der Autor
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Herbert George Wells (1866-1946) beeinflusste die Entwicklung der Science Fiction wie neben ihm nur noch Jules Verne. Seitdem er die Lehren von T.H. Huxley, einem eifrigen Verfechter von Charles Darwins Evolutionstheorie gehört hatte, verfolgte er diese Theorien weiter. Weil ihm die Lehrerlaufbahn wegen angegriffener Gesundheit verwehrt blieb, wandte er sich dem Schreiben zu, um Geld zu verdienen. Schon die ersten Erzählungen wie "The Chronic Argonauts", die 1888 erschien, erregten Aufsehen. Daraus formte er dann das vorliegende Buch "The Time Machine", das 1895 erschien. Joseph Conrad und Henry James, die besten Autoren ihrer Zeit, hießen ihn in ihren Reihen willkommen.

Handlung
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Zwei Herrengesellschaften

Der Roman beginnt weder auf dem Mond noch in ferner Zukunft, sondern im schönen Themsetal bei Richmond, genauer: in der Bibliothek des Zeitreisenden, der nie einen Namen erhält. Bei ihm zu Besuch ist eine Herrengesellschaft, zu der der Ich-Erzähler als Chronist zählt, sowie ein gewisser Philby, offenbar die Stimme der Kritik. Ansonsten gibt es nur Namenlose: den Arzt, den Psychologen, den Bürgermeister "aus der Provinz" und einen "jungen Mann".

Ihnen setzt der Zeitreisende seine Idee auseinander, dass man sich in der Zeit als einer ähnlichen Dimensionen wie in den drei Dimensionen des Raumes bewegen könne. Und er stellt ihnen das Modell seines Vehikels vor. Mit dem Umlegen eines Hebels schickt der Psychologe es in die Zukunft. Natürlich nicht in die Vergangenheit, sonst hätten sie es ja bei früheren Besuchen bemerken müssen.

Nebenan wartet im Labor bereits die fast fertiggestellte richtige Zeitmaschine. Die Besucher sind verblüfft, nicht nur ob dieses Apparats, sondern auch wegen der Ankündigung des Gastgebers, er werde die Zeit erforschen.

Bei einem zweiten Besuch erwartet die Rückkehr des Zeitreisenden ebenfalls eine illustre Herrengesellschaft: der Herausgeber einer Tageszeitung, ein Journalist, ein "Schweigsamer" und unser Chronist. Da taucht der lang Erwartete endlich auf, doch in zerfetzter Kleidung, schmutzig und verletzt, bleich, hinkend und schuhlos. Offenbar ist ihm einiges zugestoßen, doch die beiden Pressemenschen haben nur Spott für ihn übrig - was soll dieser abgeschmackte Zirkusauftritt? Nachdem er sich frisch gemacht hat, fällt der Gastgeber gierig über das Abendessen her. Im "Rauchzimmer" erzählt er dann seine Geschichte. Wie erbeten unterbricht ihn keiner der Anwesenden.

Die Reise

Er ist ins Jahr 802 701 gereist, aber im Themsetal geblieben. Auf einer Wiese kam er im Hagelsturm vor einer großen Bronzestatue zum Halten. Es handelte sich um eine Sphinx mit ausgebreiteten Schwingen, die auf einem Piedestal stand. Schöne Zwerge in feinen gewändern tauchten nach dem Sturm auf, die ihn anlachten und zum Essen einluden, in einen nahegelegenen Palast. Dieser sei aber sehr heruntergekommen gewesen und habe ungepflegt ausgesehen. Da die Zwerge - sie nennen sich "Eloi" - recht und dumm sind, hält er sie nicht für die Erbauer dieses Gebäudes, das von einem schönen, doch verwilderten Garten umgeben ist. Sie verfügen weder über Aufmerksamkeit noch Neugier, fürchten sich aber enorm vor jeder Art von Dunkelheit.

Auf einem Hügel entdeckt der Ankömmling eine Menge Ruinen, aber keinerlei Häuser oder Felder. Seine erste Theorie lautet daher: "Kommunismus"! Als er die Schlote entdeckt, über denen die Luft flimmert, und die tiefen trockenen Schächte, die Luft ansaugen, muss er seine Theorie angesichts dieses Ventilationssystems revidieren. Während seines Sinnens über den evolutionären Niedergang der Menscheit auf das Niveau der Eloi vergisst er seine einzige Reisemöglichkeit. Seine Maschine ist verschwunden, in den Sockel der Sphinx gezerrt worden. Es gibt offenbar noch andere Wesen außer den Eloi.

Die Unterwelt

Nachdem er in einer geretteten Eloifrau namens Weena eine Gefährtin gefunden hat, mit der er sich unterhalten kann (die Sprache ist rasch erlernt), macht er sich trotz ihrer Warnungen auf eine Expedition in einen Schächte hinab, um einem seltsamen weißen Wesen zu folgen. Mit Hilfe seiner Streichhölzer dringt er in die Tunnel in der Tiefe vor. In der weitverzweigten Unterwelt stehen riesige Maschinen, die von den weißen affenähnlichen Wesen bedient werden. Es handelt sich nicht um Affen, sondern um eine weitere menschliche Spezies: Morlocks. Und auf einem ihrer Tische erblickt der Zeitreisende entsetzt die Überreste eines Eloi. Die Morlocks sind offenbar Kannibalen.

Mit knapper Not entgeht er den Zugriffsversuchen dieser Fleischfresser, doch er hat nur noch wenige Streichhölzer übrig, um sich gegen die nun nächtlich erfolgenden Morlockangriffe zu wehren. Wieder muss er seine Evolutionstheorie revidieren, um eine Verbindung zwischen dem 19. und dem 803. Jahrhundert herzustellen. Durch mehrere dunkle Neumondnächte unternimmt er eine Wanderung mit Weena, die in den Verfilmungen stets weggelassen wird: in das Museum im "Grünen Porzellanpalast".

Das Museum

In diesem Museum im früheren South Kensington stößt er auf eine Galerie von Urwelttieren, wie sie im ausgehenden 19. Jahrhundert revolutionär war. Um sich und Weena vor herandrängenden Morlocks zu schützen, bricht er einen Hebel von einer Maschine ab und besorgt sich Kampfer sowie Streichhölzer: Er ist auf die Stufe eines Höhlenmenschen mit Feuer und Keule zurückgefallen. Schuhe hat er ebenfalls keine mehr.

Nach einer Lagerfeuernacht im Wald kommt es zur Schlacht. Die Morlocks wollen unbedingt Weena und ihn zum Frühstück verspeisen. Während Weena verschwindet, bricht im Wald Feuer aus, das die Morlocks in schwere Bedrängnis bringt: An die Dunkelheit der Tunnel längst angepasst, sind sie vom Feuer geblendet und rennen blindlings in die Flammen.

Doch die Morlocks haben immer noch seine Zeitmaschine in ihrer Gewalt. Er kann nicht mehr bleiben und muss sie zurückbekommen. Doch die Morlocks haben eine Falle für ihn vorbereitet...

Mein Eindruck
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Dieser erste Roman von Wells hat die Zeitreise und das Instrument dafür in die Science Fiction eingeführt; unzählige Nachahmer haben seine Idee aufgegriffen. Mit der Zeitmaschine begegnen die Zeitreisenden des öfteren positiven oder negativen utopischen Gesellschaften, die gewöhnlich in kritischem Gegensatz zur Gesellschaft des Autors und seines Lesers stehen.

Da es sich bei dem Buch nach Wells' eigener Definition um eine "scientific romance" handelt, also im Grunde um eine wissenschaftlich fundierte, aber eigentlich unglaubliche Abenteuergeschichte, konzentriert sich sein Interesse auf nicht auf die technischen Voraussetzungen der Zeitreise, sondern auf die gesellschaftlichen Verhältnisse, die im Jahr 802701 anzutreffen sind.

Der engumgrenzte Schauplatz der Handlung präsentiert sich ihm zunächst als grünes, fruchtbares Paradies (mit großer Ähnlichkeit zum Tal der Themse), das von den kindhaften Eloi bewohnt wird. Doch unter der Erde leben in düsteren die verunstalteten Morlocks, die Nachkommen eines früheren Industrieproletariats. Die Auffassung des Zeitreisenden vom Verhältnis dieser beiden Rassen zueinander ändert sich unter dem Eindruck neuer Erkenntnisse ständig.

Waren ihm die Eloi zu Anfang die Herren der Welt (und zugleich eine Art englische "leisure class"), so stellen sie sich schließlich als das Vieh heraus, das die Morlocks als Nahrung züchten. Diese Umkehrung der Verhältnisse, die Wells' Leser kannten, löst im Zeitreisenden Entsetzen aus, das viel von den Ängsten verrät, die Wells hinsichtlich seiner eigenen Klasse hegte. In den letzten Kapiteln malt er ein visionäres Schreckensbild von einer schwachen Sonne, wenn am Ende der zeiten alle Energie dem Prozess der Entropie zum Opfer gefallen ist.

Aber mehr noch durch den Grundeinfall besticht "Die Zeitmaschine" durch ihre Bildhftigkeit und ihre metaphernreiche Sprache. Daher wird das Buch als der beste Roman in Wells' Frühwerk angesehen. In einer gesamtschau der Zukunft ist hier die erste bedeutende anti-utopische Horrorvision entstanden. Dem Buch war infolgedessen ein großer Erfolg beschieden und wurde seit 1895 zweimal verfilmt, zuletzt von Wells' Enkel Simon.

(zitiert nach meinem eigenen Artikel in "Harenbergs Lexikon der Weltliteratur", 1989, Seite 3130-3131)


Unterm Strich
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"Die Zeitmaschine" ist Wells' praktische Anwendung von Huxleys Version der Darwin'schen Evolutionstheorie, allerdings in packender erzählerischer Form. Was in den Verfilmungen völlig fehlt, ist das ständige Räsonnieren des Zeitreisenden über die vorgefundene Situation: Eloi und Morlocks - in welcher Beziehung stehen sie zueinander, und wie konnte es dazu kommen? Das gibt Wells' hauptfigur Gelegenheit, stellvertretend für seinen Autor über zentrale Grundlagen der Zivilisation nachzudenken und sie in Frage zu stellen: Intelligenz, Neugier, Erfindungsgeist, Werkzeuge, aber auch Familie, Geschlecht (alle Eloi sind unisex gekleidet, die Morlocks überhaupt nicht), Nachkommen, Zeitempfinden.

Das traurige Finale der Zeitreise führt weit in die Zukunft. Aufgrund heutiger Kenntnisse kommt es zu der geschilderten Situation zwar erst in einer Milliarde Jahren, aber dennoch: Der Schrecken, den die schaurige Endzeit-Szenerie am Strand eines toten Meeres unter einer sterbenden Sonne vermittelt, dürfte annähernd der gleiche sein, wenn es soweit ist. Wells stellt die Evolution des Menschen in den größeren Rahmen der Evolution des Sonnensystems und des gleichgültigen Universums. Später werden Autoren wie Olaf Stapledon noch weiter blicken und die menschliche Evolution in fernste Zukunft fortschreiben. Doch Wells zieht als Mensch und möglicherweise Romantiker ein erstes Fazit von dem, was unter dem kalten Funkeln der Sterne im menschlichen Leben zählt: Liebe zum Beispiel.

Michael Matzer (c) 2006ff

Info: The time machine, 1895, dt. bei DTV 1996, aus d. Englischen v.: Reney, Annie/Auer, Alexandra; 148 Seiten, EUR 7,50.
ISBN: 342312234X

PRO: spannend, unterhaltsam, nachdenklich machend, gute Übersetzung
KON: nichts






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