Neal Stephenson

Snow Crash

SF. Goldmann, München. 9.00 EUR . ISBN: 344223686X

Frühe Version der MATRIX: genial!
Neal  Stephenson: Snow Crash

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Neal Stephenson, Jahrgang 1959, ist ein neuer Star am Science Fiction-Himmel der USA. Sein Ruhm ist noch nicht ganz zu uns gedrungen, aber Meinungsmacher wie William Gibson und NewAge-Papst Timothy Leary sind des Lobes voll. Allerdings muß man auf deren Meinung genausowenig Gewicht legen wie auf die von Stephen King, wenn er Kollegen über den grünen Klee lobt. Immerhin hat sich »Snow Crash« in Übersee gut verkauft, und Stephenson schon einen weiteren Roman abgeliefert. Von letzterem kann sich jeder eine Leseprobe in CompuServe (im SFLIT-FOrum) besorgen, der Zugang zum Online-Cyberspace hat.

Apropos Cyberspace: Dies ist der Ort, wo sich die wichtigsten Sequenzen von »Snow Crash« abspielen. Und da sich Stephenson seine Helden nicht gerade in den Penthäusern der Gesellschaft gesucht hat, könnte man hier von astreinem Cyberpunk sprechen - wenn der nicht schon längst totgesagt wäre. Wie auch immer man den Roman einordnen will - er ist vollkommen auf die abgefahrene Computerelite zugeschnitten, auf Hacker und Möchtegernrevoluzzer und auf Leute, die Rock'n'Roll lieben. Aber hat dieses modische Stück Literatur auch eine Aussage? Mal sehn...

Handlung

Hiro Protagonist (übrigens ein tautologischer Name wie von James Joyce) ist im bürgerlichen Beruf ein sogenannter Pizza-Auslieferator für Onkel Enzo Cosa Nostra Pizza, einem Mafia-Unternehmen, das jedem Anrufer garantiert, seine Bestellung innerhalb von genau 30 Minuten zu liefern. Der Job hat nur einen Haken: Wer auch nur eine Sekunde zu spät liefert, wird eliminiert. Genau das Richtige für Hiros Sinn für Abenteuer, und tatsächlich trennen ihn am ersten Höhepunkt des Romans wegen eines bedauerlichen Unfalls nur noch wenige Sekunden vom Nirwana, als ihn eine Kurierin, die er kurz zuvor zufällig überholt hatte, rettet - einfach so. Y.T., so heißt seine gute Fee, wird ihm noch des öfteren begegnen. Sie ist ein ebenso unverwüstlicher Typ wie Chevette in William Gibsons Roman »Virtuelles Licht« - genauso punkig, clever und verletzlich.

Nachdem er seinen Job also los ist - niemand spaßt mit der Mafia - richtet Hiro seinen Sinn wieder auf die Dinge, die das Leben im 21. Jahrhundert bewegen: In den zerfallenen Staaten, die einst Amerika waren, in Los Angeles, das einst eine Metropole war, jetzt aber in Myriaden kleiner Fürstentümer aus Franchise-Unternehmen zerfallen ist - hier hat er sein wahres Domizil im Cyberspace des Metaversums, das er mitgegründet hat, aufgeschlagen. Hier programmiert er als Hacker die Spielregeln, hier tritt er als schwertschwingender Ninja auf. Und verliert hier seinen besten Freund: Ein feindlicher Software-Virus bringt dessen Cyberspace-Simulacrum zu einem Systemabsturz, einem sogenannten Snow Crash. Der Mensch, der ja nicht einfach so an Software stirbt, jedoch stürzt ins Koma. Der betroffene Hiro kommt allmählich à la Philip Marlowe einer gigantischen Verschwörung gegen das Metaversum auf die Spur. Wie schon in Gibsons »Neuromancer«-Trilogie wird das Buch ab hier eine abenteuerliche, aber ebenso spannende wie rasante Detektivgeschichte: mit Schurken und Helden, einem Oberbösewicht und einigen wenigen Aufrechten.

Mitzuverfolgen, wie Hiro die Spur aufnimmt und in den Kampf zieht, ist sicherlich ganz nett, aber die wahre Freude ergibt sich doch mehr aus den herrlichen Innovationen, die Stephenson in seine Romanwelt eingebracht hat: die Franchise-Fürstentümer, das Metaversum, High-Tech-Skateboards, Wunderwaffen namens »Vernunft« (à la Iain Banks), halbintelligente CyberWachhunde und dergleichen mehr. Anders jedoch als Gibson weiß Stephenson, was ein Computer ist, was so eine Maschine leisten kann und was dazu im einzelnen notwendig ist. Man spürt in jeder Zeile, daß er weiß, wovon er schreibt.

Probleme

Doch auch er scheitert ein wenig an dem Problem jedes Schriftstellers: Wie vermittle ich meinem Leser eine Menge Hintergrundwissen, ohne daß er dabei einschläft? Dieser tote Punkt kommt etwa auf Seite 250. Da muß der Leser kapieren, wofür ein Germanistikstudent ein ganzes Semester Zeit hat: daß es nämlich sprachliche Muster geben kann, die in entsprechender Form die bewußte Ebene des Sprachverständnisses umgehen und direkt auf die tiefere Ebene des Unterbewußtseins einwirken können, wo die (von modernen Linguisten angenommenen) Tiefenstrukturen der Sprache festgelegt sind. Ein solches subversives Sprachelement - nennen wir es mal »Bannfluch« - wirkt auf den menschlichen Geist dann wie ein Virus auf ein Stück Software, das als Betriebssystem eingesetzt wird: Dabei kommt es zum Stillstand, wenn nicht sogar zum »Systemabsturz«. Diesen schwierigen Sachverhalt setzt Stephenson nicht besonders gekonnt in lebendige Prosa um, und jeder Leser hat etwas Mühe, die babylonischen Quellen (»Turm von Babel« usw.) des Snow-Crash-Virus zu verstehen. Doch sobald man die Quintessenz einmal kapiert hat, kann man die restlichen knapp 300 Seiten genießen - denn hier geht die Post ab.

Finale

Es stellt sich nämlich heraus, daß ein religiös angehauchter Medienpapst (Ted Turner läßt grüßen) ein zweifache Invasion von Rest-Amerika vorhat: In der realen Welt bringt eine riesige, zunächst friedlich erscheinende Invasionsflotte aus Flüchtlingsbooten ein Heer von asiatischen Boat-People an die Westküste, im Metaversum hingegen droht der erwähnte Sprachvirus die komplette Hackerpopulation auf einen Schlag psychisch zu exekutieren. Natürlich gelingt es Hiro Protagonist und seiner Freundin Y.T. in allerletzter Sekunde, den Oberbösewicht zu stellen wie auch den Anschlag zu vereiteln.

Fazit

Also, die Aussage, die Moral von der Geschicht': Trau den bösen Medienzaren nicht - oder: Besser ein Hacker als ein ahnungsloses Computerkarnickel. Denn genauso, wie in den USA bereits heute die Massenmedien das Verhalten der breiten Masse - z.B. bei Präsidentschaftswahlen oder beim Einkaufen - steuern, genauso besteht die akute Gefahr, in den sich explosionsartig ausweitenden Online-Netzen der großen Anbieter (Internet, Onlinedienste) durch Monopole beherrscht und manipuliert zu werden.

Die einzige Lösung, die Stephenson anbietet: Die jungen Rebellen, die sich nicht kaufen lassen, werden als Hacker usw. den Rest der Welt vor den Multis retten. Das ist seine Rock'n' Roll-Philosophie, und sie macht dieses Buch so attraktiv, so amüsant, so amerikanisch. Denn dies ist natürlich die alte Unabhängigkeitserklärung in neuem Gewande, und der zu befreiende bzw. zu erobernde Kontinent heißt nicht Nordamerika, sondern Metaversum.

Der Spaß an der Lektüre von »Snow Crash« ist der gleiche, den z.B. Indiana Jones als abenteuerlicher Archäologe, Case in »Neuromancer« oder Chevette in »Virtuelles Licht« vermitteln. In diesem Licht hat »Snow Crash« vielleicht eine fragwürdige (»Wir sollten alle Hacker werden«) oder naive (»Wir könnten alle den Multis Paroli bieten, wenn wir nur wollten«) Botschaft, aber er macht einfach eine Menge Spaß beim Lesen. Und das ist nicht zu wenig.

Michael Matzer (c)1995ff

Info: Neal Stephenson, Snow Crash, 1992; aus dem Amerikanischen von Joachim Körber.






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