Karin Slaughter

Vergiss mein nicht (BUCH)

Krimi. Rowohlt, Reinbek. 512 Seiten. 9.95 EUR . ISBN: 349923243X

Trifft ins Herz: finaler Rettungsschuss
Karin  Slaughter: Vergiss mein nicht (BUCH)

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Es ist eine heiße Sommernacht im Städtchen Heartsdale, Georgia. Auf dem Parkplatz der Rollschuhbahn droht die 13-jährige Jenny den drei Jahre älteren Herzensbrecher Mark zu erschießen. Behutsam versuchen die Ärztin Sara Linton und ihr Ex-Gatte, Polizeichef Jeffrey Tolliver, die Situation zu entschärfen. Zunächst sieht es nach einem Liebesdrama unter Teenagern aus, doch dann kommt es zum Showdown: Tolliver muss Jennys Leben opfern, um Marks Hinrichtung zu verhindern. Schließlich findet man in den Toiletten der Anlage ein totes Neugeborenes, und Linton und Tolliver sehen sich einem Fall gegenüber, von dem sie sich wünschen, sie hätten ihn nie übernommen. (abgewandelte Verlagsinfo)

Die Autorin
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Karin Slaughter wuchs in einer kleinen Stadt in Georgia auf und lebt heute in Atlanta. Schon mit ihrem Debütroman sicherte sie sich einen Platz unter den wichtigsten Thrillerautorinnen der USA. Heute ist sie laut Verlag einer der Stars dieser Liga. Ihre Bücher sind über 15 Ländern erschienen, und wenn man sich die Geschichten ihrer neuesten Romane anschaut, so stellt man schnell fest, dass es sich die Autorin keineswegs leicht macht, sondern im Gegenteil schwerwiegende und komplex angelegte Themen aufgreift. Sie scheut nicht vor der Behandlung von Tabus wie Homosexualität, Inzest, Sex mit Behinderten, Rassismus, religiöser Wahn, Drogenmissbrauch, Pädophilie und Selbstjustiz zurück. Ein kleiner Teil davon ist in „Vergiss mein nicht“ zu finden.

Handlung
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Es ist ein schöner Samstagabend auf der Rollerskatebahn von Heartsdale, Georgia. Neben Kinderärztin Sara Linton sind auch ihr Patient Justin, 7, und ihre Schwester Tessa da. Nur ihr Ex-Mann, Sheriff Jeffrey Tolliver, hat sich verspätet, sonst wäre der Abend perfekt. Auf dem Damenklo macht sie eine merkwürdige Beobachtung: Jenny Weaver taucht aus einer der Toiletten völlig verstört auf. Sara bemerkt an Jennys Rucksack und am Türgriff einer Kabine Blut.

Kurz darauf hört sie, wie ein Mädchen einen Jungen anschreit. Sara eilt hin, und da zielt Jenny mit einer achtschüssigen Beretta auf einen Jungen, der offenbar ziemlich zugekifft ist und die Bedrohung nicht ganz ernstnimmt. Sheriff Tolliver ist inzwischen eingetroffen und ermahnt Jenny, die Waffe fallenzulassen. Doch statt zu gehorchen, entsichert Jenny bloß ihre Beretta. Tolliver merkt, dass sie es todernst meint. Sie weint und fordert ihn auf, sie zu erschießen, bevor sie den Jungen abknallt.

Nun entsichert auch Tolliver seine Dienstwaffe, in der Hoffnung, dass seine alarmierten Kollegen bald da sein werden, um Jenny zu umzingeln. Da kommen Brad Stevens und Lena Adams auch schon, doch es hilft nichts. Auch Sara kann nichts gegen Jennys verzweifelte Sturheit ausrichten. Jenny nennt den Jungen lediglich einen Lügner. Tolliver zählt bis fünf. „Fünf“, schreit Jenny, dann schießt er. In ihrem Rucksack findet Sara ein 28 Wochen altes Baby. Jenny wollte es im Klo entsorgen. Der Junge, Mark Patterson, war sein Vater.

WARNUNG: LESEN AUF EIGENE GEFAHR

Die Untersuchung der Leiche, die Sara als Gerichtsmedizinerin vornimmt, fördert einige grausige Körpermerkmale zutage. Ihre Haut ist mit vielen kleinen Schnitten übersät (daher der O-Titel: „Kisscut“) und ihr Becken weist die Spuren einer brutalen Vergewaltigung auf. Und noch etwas: Das Baby kann nicht von Jenny sein – ihre Vagina wurde zugenäht. Vor mindestens einem halben Jahr.

ENTWARNUNG

Jennys Mutter Dottie erzählt, dass Jenny mit Marks Schwester Lacy in einer kirchlichen Jugendgruppe war, die von Pastor David Fine geführt und von Brad Stevens betreut wird. Das ging jedenfalls so bis vor etwa acht Monaten, als die Gruppe in die Weihnachtsfreizeit fuhr. Dann muss etwas passiert sein, denn von da ab wollte Jenny nicht mehr zu den Gruppenabenden. Von Jennys Verletzungen weiß Dottie nichts. Mark Patterson aber ist wegen Diebstahls und Tätlichkeit gegen Lacy verurteilt worden. Hat er etwas mit Jennys Zustand zu tun?

Als Polizistin Lena Adams die Pattersons in deren Trailer aufsucht, merkt sie gleich, dass hier etwas nicht in Ordnung ist. Der Vater von Mark, ein Trucker, sieht okay aus, aber seine Mutter Grace hat Lungenkrebs im Endstadium. Mark selbst versucht Lena mit seinem männlichen Charme zu verführen, denn er ist wieder einmal zugedröhnt. Sie bemerkt eine besondere Tätowierung auf seiner Hand. Aber wo ist seine Schwester?

Lacy taucht am übernächsten Tag in der Kinderklinik bei Sara Linton auf. Das 13-jährige Mädchen ist schwanger und versteckt sich vor seinem Bruder Mark. Auch ihrer Mutter soll Sara nichts sagen. Offenbar hat sie Angst vor. Als Mark plötzlich auftaucht, mit einem Messer in der Hand und total stoned, ruft Sara die Polizei und schickt Lacy heimlich weg. Doch während Lena Adams Mark erwischen und festnehmen kann, wird Lacy in einem schwarzen Auto entfüht.

Etwas definitiv Unheimliches geht vor in Heartsdale, Georgia. Und es gefällt Sara kein bisschen.

Mein Eindruck
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Wieder einmal sind junge Mädchen die Opfer von Verbrechen. Diesmal greift die Autorin das Thema Pädophilie und Kinderpornografie auf. Im Zuge von Sheriff Tollivers Ermittlungen entsteht das Bild einer Industrie, die keine Skrupel bei der Ausbeutung von Mädchen und Jungs kennt. Aber der Sheriff stößt auf zwei Aspekte, die ihn besonders betroffen machen. Erstens hat sich ein Pastor dazu erpressen lassen, die Pornohefte an die Kunden zu verteilen, und zweitens gehören zu den Rädelsführern des Pornorings zwei ältere Frauen, die selbst Mütter sind und es eigentlich besser wissen sollten.

Die Folgen ihres kriminellen Treibens zeigt die Autorin an den Mädchen Jenny und Lacy auf, die einmal Freundinnen waren, bevor – etwas – geschah. Man kann sich schon denken, was das war. Eine zentrale Rolle fiel dabei dem Adonis Mark Patterson, der sich von einem Opfer pädophiler Handlungen zu einem Täter entwickelt hat und nun selbst immer neue Opfer erzeugt, indem er Mädchen verführt und gefügig macht. Das Erkennungszeichen seines Pädo-Rings trägt er auf der Haut: Lena Adams hat das Tattoo bemerkt.

Otto Normalverbraucher kann es natürlich kaum glauben, dass es solche Pädo- und Pornoringe mitten in der amerikanischen Provinz geben soll. Andererseits würde wohl kaum jemand auf die Idee kommen, die Drahtzieher in Kreisen von Müttern und der Kirche zu suchen. Offenbar gibt es auch Verbindungen zu Kreisen in der Hauptstadt Atlanta, und dort besteht ein riesiger, unersättlicher Markt.

Explosive Ermittlung

Die Suche nach den Drahtziehern führt Tolliver und Lena Adams zu einem Haus, wo die Aufnahmen gemacht worden sein sollen, die in den Pornomagazinen zu finden sind. Das inzwischen leergeräumte Haus erweist sich jedoch als Todesfalle. Diese Szene ist sorgfältig ausgeführt worden, so dass höchste Spannung aufkommt – die sich als völlig gerechtfertigt erweist. Tolliver geht um ein Haar drauf, und nur weil er Lena in sichere Entfernung geschickt hat, entgeht sie dem Tod. Tolliver merkt also am eigenen Leib, dass mit den Pädo-Leuten nicht zu spaßen ist.

Showdown

Das Finale ist jedoch ziemlich ironisch gestaltet. Obwohl Tolliver weiß, wo er die überlebende Drahtzieherin findet, gelingt es ihm trotz einer wilden Verfolgungsjagd nicht, sie zu schnappen. Bleibt also nur die Video-Überwachung des Schließfaches, wo das verbotene Material weitergegeben wird. Doch auch diesmal sind die Überwacher geistig nicht schnell genug, um das zu begreifen, was sie sehen. Die Kriminellen sind ihnen stets einen Schritt voraus, zeigen ihnen sogar den Mittelfinger. Und da sie wie Normalbürger aussehen, sind sie auch auf der Straße nicht auszumachen. Der Horror ihrer Taten findet also – anders als in gewissen TV-Serien – kein Ende.

Nice work?

Dieser Thriller mag vielleicht nicht so aufregend bizarr sein wie „Belladonna“ oder das nachfolgende „Faithless“ (s. meinen Bericht dazu), aber er verfügt dennoch über eine gut konstruierte Zentralstory, die den Leser bzw. Hörer ständig bei der Stange hält, um herauszufinden, wer wohl dahintersteckt. Aber es gibt auch einen Nebenstrang, der ebenso verstörend wirken kann. Wer sich mit der Figur der Polizistin Lena Adams, der Gekreuzigten, angefreundet hat, wird einige beklemmende Szenen erleben. Dazu gehört auch, dass sie sich eines Nachts, gequält von Erinnerungen an ihr Martyrium und den Verlust ihrer Schwester Sibyl, den Lauf ihrer Dienstwaffe in den Mund steckt und kurz davor ist abzudrücken.

Unterm Strich
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Wie schon unter der Rubrik „Die Autorin“ gesagt, lässt Karin Slaughter in ihren Romanen kaum ein Verbrechen oder Tabu aus. Vielleicht ist sie deshalb so schnell so erfolgreich geworden? Klappern gehört bekanntlich zum Handwerk, und in dem heiß umkämpften Markt der Thrillerautorinnen kann sich nur diejenige hocharbeiten und behaupten, die die Leserin am heftigsten zu erschüttern weiß. Leider muss die Schockdosis ständig erhöht werden, um noch Wirkung zu zeitigen. Irgendwann schlägt das, was an schwerem Geschütz aufgefahren wird, ins Groteske, ja, ins Absurde um. Wann dieser Punkt gekommen, hängt von der Empfindsamkeit, der Intelligenz und Empfänglichkeit des individuellen Lesers bzw. Hörers ab.

Doch im vorliegenden „Kisscut“ wird niemand gekreuzigt oder lebendig begraben. Obwohl die Handlung reichlich makaber mit der Erschießung eines Kindes beginnt, so steigert sich dieses Niveau des Schreckens nicht noch weiter in unplausible Höhen. Alles, was im Folgenden passiert, entbehrt nicht desjenigen Realismus’, den man täglich in den Nachrichten vorgesetzt bekommt: vom Pädophilen- und Pornoring bis zu misshandelten Mädchen und blutig entsorgten Föten.

Slaughters Thrillers waren noch nie zimperlich, wenn es um das Traktieren der Nerven des Lesers bzw. des Hörers geht. Vielleicht hat die Autorin so schnell Erfolg gehabt. Auch dieser Thriller, dessen deutscher Titel sich mir nicht erschließt, geizt nicht mit Spannung und schockierenden Ermittlungsergebnissen. Und er zeigt die Hüter des Gesetzes ebenfalls als Opfer einer Gesellschaft, die keine Grenzen mehr kennt, wenn es um die Ausbeutung der Schwächsten geht.

Michael Matzer © 2006ff

Info: Kisscut, 2002; aus dem US-Englischen übersetzt von Teja Schwaner; 512 Seiten, Rowohlt Tb., Dezember 2005, ISBN: 349923243X

Pro: spannend, überraschende Wendungen, anrührend, anklagend

Kontra: ziemlich gewalttätig, erfordert einen stabilen Magen und moralische Aufgeschlossenheit






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