Lewis Shiner
Schattenklänge
SF. Goldmann, München. 411 Seiten. 16.90 DM . ISBN: 3-442-23695-9
Wiederauferstehung der Rockhelden
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Jim Morrison ist tot, Jimi Hendrix ist tot, und ich fühl mich auch nicht mehr so gut. So mies ungefähr ist auch Ray Shackleford drauf, seines Zeichens früherer Drummer in einer Rockband und jetzt Reparierer von Stereoanlagen, gefangen in einer todgeweihten, elfjährigen Ehe. Soeben hat ihn die Nachricht vom Tod seines Vaters erreicht. Da gelingt es ihm zu seinem Erstaunen, "The Long and Winding Road" von den Beatles in einer völlig neuen Version aufs Magnetband zu bannen. Er hat sich einfach in die damalige Lebens- und Künstlersituation hineinversetzt und vorgestellt, wie die Aufnahme klingen sollte und nicht wie Phil Spector sie verhunzt hat.
Daß ihr Ehemann Wunder vollbringt, interessiert Rays Gattin, eine desillusionierte Lehrerin, nicht die Bohne: Was soll Popmusik schon bedeuten? Also vertraut sich Ray einem Herausgeber von Bootleg-Samplern in Los Angeles, Graham, an. Graham ist völlig von den Socken und verleitet Ray dazu, "Celebration of the Lizard King", Jim Morrisons letztes großes Projekt vor seinem Exitus, zu "machen".
Vielleicht haben Sie Jack Finneys "Am anderen Ufer der Zeit" gelesen. Zwecks Zeitreise versetzt sich darin ein Mann geistig so intensiv in die angepeilte Zeit, daß er schließlich in dieser Zeit ankommt. Genauso macht es Ray in "Schattenklänge". Er greift in die Aufnahme zu "Celebration" ein, wird ein zweiter Morrison, bis Morrison in ihm ist - und er die gleiche Auseinandersetzung mit Jims Vater erfährt wie er selbst, als sein Vater noch lebte. Die Aufnahme glückt, ebenso die Rückkehr in die Gegenwart (im Krankenhaus), und die Aufnahme auf Magnetband. "Celebration" wird ein kommerzieller Erfolg und Ray reich.
Rays Leben und die Handlung dieses Romans ist an die Auseinandersetzung mit der Elterngeneration, besonders mit dem Vater, und an die Rebellion bzw. Flucht in die Rockmusik geknüpft, die ein utopischer Gegenentwurf zur kommerziellen, lieblosen Anti-Jugend-Kultur der Eltern sein sollte. Der Roman handelt davon, wie die Ideale des Rock-Lebensstils zu Kommerz und Horror (die Tode der Stars) verkamen. Gleichzeitig schafft es Ray, sich aus der seelischen Umklammerung seines toten Vaters und aus der festgefahrenen Ehe zu lösen, indem er sich nicht zuletzt mit seinen eigenen gescheiterten Idealen auseinandersetzt.
Ray geht noch mehrmals in die Vergangenheit, mit vollem Körpereinsatz. Es entsteht das sagenumwobene Album "Smile" von den Beach Boys - die schönste Episode des Buches - , und Ray versucht, Jimi Hendrix’ Tod zu verhindern, mit dreimaligem Mißerfolg, der zu seinem eigenen Ableben führt. Im "Himmel" trifft er Morrison, Wilson von den Beach Boys, seinen Vater - eine Achterbahnfahrt der Gefühle. Nach seinem Erwachen aus dem "Himmel" bricht Ray aus und fährt nach Cozumel in Mexiko, wo sein Vater starb. In einer Geisterbeschwörung erfolgt die bitterste Begegnung mit dieser bestimmenden Gestalt, doch kurz davor, sich umzubringen, lernt er Lori, die Liebe seines Lebens, kennen, die selbst viel durchgemacht hat.
Kurz und gut: Ray kriegt entgegen allen Erwartungen doch noch die Kurve, indem er sich scheiden läßt, eine Therapie macht und mit Lori zusammenzieht. Es ist nun nicht mehr nötig, die Geister der Vergangenheit zu beschwören - die guten wie die bösen, denn die seelische Kluft zwischen Vergangenheit und Gegenwart, Rays Lebenslüge, besteht nicht mehr, und das Tor zur Zukunft ist geöffnet.
Urteil
"Schattenklänge" ist ein anspruchsvoller, aber um so mehr zufriedenstellender Roman um eine der wichtigsten Perioden in der Geschichte der Musik, der Kultur des 20. Jahrhunderts, die die Jugend heute noch prägt, mit ihren kommerzialisierten Idealen, ihren verlogenen Ikonen wie den Rolling Stones und ihrem Mythos von Liebe, Freiheit, Sehnsucht, Sex. Allen Luftgitarrenspielern sei dieses Buch empfohlen - es enthält bittere Wahrheiten und schmerzhafte Momente, aber auch Trost und eine Zukunftsperspektive. "Schattenklänge" wurde mit dem World Fantasy Award ausgezeichnet.
Michael Matzer (c)1997ff
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