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Eine merkwürdige, fast schon groteske Biografie hat der argentinische
Schriftsteller Horacio Quiroga.
1878 geboren, stirbt sein Vater einige Monate danach an einem Jagdunfall;
zwölf Jahre lebt Horacio mit der Mutter allein, bekommt dann einen
liebevollen Stiefvater, der aber bald schwer erkrankt und fast vollständig
gelähmt wird. Der lebensmüde Mann beschafft sich mit großer
Mühe ein Jagdgewehr und erschießt sich in dem Moment, in dem
der sechzehnjährige Horacio das Zimmer betritt. Quiroga beginnt zu
schreiben.
Einige Jahre später passiert ein weiterer Schicksalsschlag. Quiroga
erklärt einem Freund den Gebrauch einer Pistole und erschießt
ihn dabei versehentlich. Daraufhin findet Quiroga nie wieder Ruhe. Er reist
ständig im Urwald hin und her, nimmt viele Arbeiten an und wird zuletzt
in Buenos Aires Professor. Mit einer Studentin verheiratet er sich, zieht
wieder in die Berge, erzieht seine Kinder eigenwillig und zerrüttet
seine Ehe. Seine Frau erträgt ihn und die Wildnis nicht mehr, nimmt
Gift und stirbt acht Tage lang qualvoll. Quiroga läßt die beiden
Kinder bei der Familie seiner Frau und nimmt in Buenos Aires eine Arbeit
an. Mit 50 verliebt er sich in eine ehemalige Mitschülerin seiner
Tochter und heiratet sie. Auch sie verläßt den siebzehn Jahre
älteren, rastlosen und besessenen Quiroga. Mit 59 schließlich
nimmt Horacio Quiroga Zyankali.
Nur durch den Lebenslauf Quirogas kann man verstehen, daß die in "Der Papagei mit der Glatze" versammelten Geschichten und Fabeln stets von der Jagd und vom Tod handeln. Verstehen kann man aber nicht die Heiterkeit mit der er von der Jagd, von Gejagten und Jägern erzählt. Vielleicht aber muß man erlebt haben, was Quiroga erlebt hat, um eine solche Phantasie, Heiterkeit und Gelassenheit zu erlangen.
So geht es in der Titelgeschichte um einen sprechenden Papagei, der
von den Kindern eines Gutsherrn verwöhnt wird "und wie die reichen
Leute seinen five o' clock tea nahm".
Dieser verhätschelte Papagei verläßt seine Familie,
nähert sich naiv einem hungrigen Tiger, der ihm mit einem Prankenschlag
alle Federn entfernt. Der Papagei weiß sich jedoch zu rächen
und schließlich landet dieser Tiger als Fell vor dem Ofen der Familie,
zu der der glatzköpfige, federlose Papagei zurückgekehrt ist.
In einer anderen Geschichte retten sprechende Rochen einen auf einer Flußinsel
schwerverletzen Mann vor rachesüchtigen Tigern, indem sie scharenweise
die Tiger beim Eindringen ins Wasser angreifen. Eine dritte Geschichte
handelt von der Aufzucht eines Tigerbabies, das durch einen Zufall sein
Leben verliert als es zum ersten Mal Fleisch ist und das Lieblingshuhn
des Hausherrn verspeist.
Natürlich können nicht alle Geschichten hier erwähnt werden. Sie sind alle spannend wie Quirogas Leben und bunt wie der Urwald, in dem Quiroga viele Jahre seines Lebens verbracht hatte. Wer die mitteleuropäische Art, Geschichten zu erzählen satt hat und Autoren wie Garcia-Marquéz zu mitteleuropäisch findet, der sollte sich dringend diesen Band zulegen, zumal solche Geschichten mit ihrer Mischung aus Wirklichkeit und Phantasie und ihrer tiefen erzählerischen Leidenschaft wirklich selten anzutreffen sind. Matthias Kehle
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