Alexander Osang

die nachrichten

Roman. S. Fischer Verlag, Frankfurt/Main. ISBN: 3-100-57610-1

Alexander  Osang: die nachrichten

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Zehn Jahre Deutsche Einheit. Während sich die Parteien streiten, wer damals was gewollt und was geleistet hat, besinnt sich der Osten auf seine Identität. Zur Identität gehört die Erinnerung. Bisher hat die Stasi-Diskussion das Bild von der DDR-Vergangenheit dominiert und den Blick verengt. Daß Gauck sich in diesem Jahr von seiner Behörde verabschiedet, ist nicht ohne Symbolkraft. Es ist diese Stimmung, die Alexander Osangs Roman „die nachrichten“ einfängt. Er gibt dem Zweifel Ausdruck, „daß man mit dieser IM-Nummer eine Gesellschaft in Gute und Böse einteilen kann.“ Was die Menschen eigentlich kennzeichnet und trennt in Ost und West, das ist der unterschiedlich gelebte Alltag, zu DDR-Zeiten und auch noch heute. Für die Ostdeutschen geht es jetzt um eine Wiedervereinigung anderer Art, eine Wiedervereinigung mit sich selbst - um den Versuch, die eigene Vergangenheit zu erinnern und zu integrieren.
 Jan Landers, „Ostler“ und Hauptfigur des Romans, ist Sprecher der 20 Uhr-Nachrichten, der Tagesschau. Er hat es geschafft. Sein Gesicht ist eines der bekanntesten des Landes. Er hat sich perfekt angepaßt, man sieht ihm den Ossi nicht mehr an. Er hat die „spermafarbenen Herrensommerschuhe mit den kleinen Löchern und der angegossenen gelben Gummisohle“ abgelegt und kleidet sich wie die Elite der Westaufsteiger. Er weiß, daß man in Hamburgs edlen Kreisen nicht Fete sagt, sondern Fest, und daß man sich durch die richtige Musik, die richtigen Rituale und vor allem die richtige Wohnung auszuweisen hat. Demnächst wird er ein Loft beziehen: „Es fängt ja alles erst an“. Weitere Karriereschritte zeichnen sich ab. Da trifft ihn aus heiterem Himmel ein Stasi-Verdacht. Er wird umgehend suspendiert, denn ein Tagesschausprecher ist „besonders hohen moralischen Ansprüchen unterworfen“.
 Ob an dem Verdacht etwas dran ist, daran kann Landers sich nicht mehr erinnern. Das ist keine Ausflucht. Vor lauter Anpassung hat er seine DDR-Vergangenheit vergessen. Er hat „nichts Eigenes“ mehr. Während Reporter aus Ost und West fieberhaft nach seiner Stasiakte suchen, nutzt Landers den unfreiwilligen Urlaub, um auf Selbsterfahrung in den Osten zu reisen. Es spielt bald keine Rolle mehr, ob er tatsächlich einmal IM war oder nicht. Was zählt, ist die Fremdheit hier wie dort. Der Vater in seiner lila Trainingshose und die Mutter auf dem riesigen Samtsofa - sie sind „alte Wesen aus einer untergegangenen Welt“. Aber auch im Westen ist Jan Landers nie richtig angekommen.
Alexander Osang, selbst „Ostler“, Berliner Starkolumnist und Verfasser preisgekrönter Reportagen, gibt in seinem ersten Roman eine sehr differenzierte Analyse der Ost-West-Befindlichkeiten. Auf reichhaltige Recherche gestützt und ohne unnötige literarische Ambitionen schreibt er mit journalistischer Routine, zugespitzt, aber nicht überspitzt. Er meidet reißerische Klischees, mit Ausnahme des ewig rauchenden und saufenden Reporters, aber vielleicht ist der ja gar kein Klischee. Selbstverständlich ist das Personal des Romans fiktiv, der Bundesbeauftragte für Stasisachen heißt Blöger und nicht Gauck. Trotzdem erscheint vieles sehr authentisch - die Stasiarchivare bei der Pflege der von den Spitzeln zurückgelassenen Kakteen; der „Ostwind“-Treff unter der alten Roten Fahne; die Medienleute, die die Bildschirme mit der Wirklichkeit verwechseln und eigentlich gar nicht mehr wissen, wie es draußen aussieht; die feine, auf ihre Weise ebenfalls realitätsferne Gesellschaft auf Sylt. Aber auch durch das Wühlen im Stasiarchiv wird man die Wirklichkeit nicht einfangen können, das macht der Roman klar. Die Schnitzeljagd nach der Vergangenheit endet im Absurden.
Und irgendwann hat man genug davon. Alexander Osang schreibt seine Reportagen jetzt aus New York.

Eva Leipprand






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