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Endlich! Das mußte einmal gesagt werden, und zwar von einer Autorität.
Sagt man es selber, steht man sofort als Banause da. Aber es ist nun einmal
so: Für den, der den Verstand nicht an der Theatergarderobe abgegeben
hat, sind sie nicht auszuhalten, diese Opernlibretti, und nur die Kraft
der Musik hilft über das Hinter-die-Büsche-Hüpfen, In-Fremde-Kleider-Schlüpfen
und all die peinlichen Phrasenblasen hinweg.
Es ist kein Geringerer als der große Casanova - in die
Jahre gekommen, aber immer noch scharfsinnig und lebensfroh - , der in
Hanns-Josef Ortheils neuem Roman ein solches Libretto in der Luft zerreißt.
Der Ort: Prag. Die Zeit: das Jahr 1787. Die Proben für Mozarts neue
Oper laufen, die Premiere steht unmittelbar bevor. Was Lorenzo da Ponte
als Text für diese neue Oper anbietet, nennt Giacomo Casanova "Wortmist",
ein "Verbrechen an der Klang-Kunst", eine "jahrhundertealte Klamotte" über
den Wüstling Don Juan, der nichts anderes im Kopf hat, als tierisch-gierig
über ein Frau nach der anderen herzufallen. Allerdings benimmt sich
da Ponte genau so wie seine primitive Figur und muß Prag noch vor
der Opernpremiere verlassen. Casanova nimmt sich nun des Librettos an;
er verfeinert und verwandelt den so wüsten wie verstaubten Don Juan
in sein eigenes Spiegel-bild, Don Giovanni, den eleganten Genießer
auf allen Gebieten - Essen, Liebe, Musik, am liebsten alles auf einmal
-, den in allen Künsten der Verführung Erfahrenen, dem die Frauen
nicht aus Haß hinterherlaufen, sondern aus Liebe.
Unter Casanovas Führung erwachen auch die Frauen
des Romans aus dem passiven Opferstatus zu aktivem Begehren. Um sie auf
den Geschmack zu bringen, inszeniert der Sinnenprophet aus Venedig einen
Maskenball voller geheimer Genüsse. Zunächst hat das Buch mit
einem Alptraum begonnen. Anna Maria, die junge Gräfin Pachta, ins
keusche Kloster weggesperrt, träumt sich als Opfer eines schändlichen
Eindringlings. Am Ende, durch Casanovas Sinnenschule in entsprechende Schwingungen
versetzt, greift sie sich selbst, in einer Art Rollentausch, den hübschen
Diener Paolo im Zellenbett. Ist die Angst erst überwunden, löst
der Alp sich in Lust auf.
Und Mozart? Der bewegt sich, während er mit der Ouvertüre
des Don Giovanni schwanger geht, eher am Rande von Casanovas Inszenierungen.
Er flieht seine Verehrer(innen) und baut auf das Kraftfeld seiner Ehe mit
Konstanze. Seine Revolution der Sinne entlädt sich in der Kunst, in
der von den Fesseln muffiger Tradition befreiten Musik des Don Giovanni.
Von der legendären Uraufführung dieses Werkes
und ihre Vorgeschichte ist allerhand überliefert: wie sich die Sängerinnen
eifersüchtig um die besten Arien schlugen und wie Mozart auf dem Weingut
der Duscheks am Stadtrand in der Nacht vor der Premiere - die Kopisten
waren beim Warten längst eingeschlafen - die gewaltige Ouvertüre
aufs Papier warf. Nicht alles, was da erzählt wird, ist für bare
Münze zu nehmen. Casanovas Anwesenheit bei der Premiere in Prag ist
jedenfalls verbürgt. Er hat auch - das Autograph ist erhalten - in
da Pontes Libretto hineinkorrigiert.
Die Entstehungsgeschichte der Oper ergibt eine fruchtbare
Romanvorlage. Ortheil hat das vorhandene Quellenmaterial geschickt genutzt
und in der sorgfältig konstruierten Handlung die Zeit in den ihr eigenen
Formen abgebildet. Versteckspiel, Intrige, Rollentausch, plötzliches
Erkennen, unwahrscheinliche Zufälle - bald ist nicht mehr auszumachen,
ob die Oper ihren Stoff aus dem Leben holt oder umgekehrt. Realistische
Maßstäbe darf man hier nicht anlegen. Einige Figuren sind opernhaft
überzeichnet - da Ponte als sabbernder Satyr, Josepha Duschek als
die schrille Sängerin mit dem ausufernden Busen. Wein und Champagner
(Champagnerarie!) fließen so reichlich, daß man schon vom Lesen
einen Kater bekommt. Die Stadt Prag, die Mozart so begeistert feiert, ist
Akteur und Kulisse zugleich. Anders als bei der Oper bleibt allerdings
der Schluß offen.
Mit der "Nacht des Don Juan" hat Hanns-Josef Ortheil seine
"Trilogie der Künste" abgeschlossen: nach "Faustinas Küsse" (1998,
über Goethe in Rom und das Schreiben) und "Im Licht der Lagune" (1999,
die Malerei in Venedig) nun also Mozart und die Musik. Mit seiner Trilogie
möchte Ortheil die Jahre unmittelbar vor der Französischen Revolution
als eine Zeit der schöpferischen Krise und der Philosophie der Sinnlichkeit
erfassen, das "moderne Erwachen aus dem Schlummer des alten Europa". Ein
Unternehmen nicht ohne Risiko. Große Namen wecken hohe Erwartungen,
der Autor bewegt sich auf gründlich beackertem Gelände. Mozarts
Vaterbeziehung zum Beispiel, wie soll man dazu noch einen neuen Blickwinkel
finden. Ortheil ist Musikwissenschaftler und hat über Mozart gearbeitet
("Mozart - im Innern seiner Sprachen", 1982). Trotzdem - der Roman kann
nicht restlos überzeugen.
Dies mag an einer Neigung zum überdeutlichen Erzählen
lie-gen. So manches Geheimnis wäre wirklich eines, wenn nicht so viele
Worte darum gemacht würden. Manierismen bei der Innendarstellung der
Figuren ("er, Casanova") lassen den Autor hinter den Kulissen erkennen.
Und dann die Sinnlichkeit. Die ist noch nicht heraufbeschworen, indem man
Wachteln, Trüffel und Fasanensülze beschreibt. Zweifel regen
sich aber vor allem gegenüber der zentralen Idee des Romans: aus Don
Juan soll Don Giovanni werden, die Kunst sich aus alten Formen in eine
neue Zeit befreien. Das Bild wirkt überanstrengt, Don Juans Verwandlung
vom Wüstling zum Genießer hat nicht die Kraft, eine Zeitenwende
zu illustrieren. Sie nimmt zudem der archetypischen Figur des Don Juan
das Dämonische, ohne eine neue Dimension hinzuzufügen. Und daß
ausgerechnet ein alter Mann, Casanova, dem am Ende des Romans nichts bleibt,
als seine Memoiren zu schreiben, der große Erneuerer sein soll, ist
wenig plausibel. Übrigens: Wenn man der Forschung glauben darf, haben
seine Korrekturen da Pontes plattes Libretto keineswegs besser gemacht.
Eva Leipprand
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Danke.
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