Hanns-Josef Ortheil

Die Nacht des Don Juan

Roman. Luchterhand Literaturverlag, München. ISBN: 3-630-87074-0

Hanns-Josef  Ortheil: Die Nacht des Don Juan

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Endlich! Das mußte einmal gesagt werden, und zwar von einer Autorität. Sagt man es selber, steht man sofort als Banause da. Aber es ist nun einmal so: Für den, der den Verstand nicht an der Theatergarderobe abgegeben hat, sind sie nicht auszuhalten, diese Opernlibretti, und nur die Kraft der Musik hilft über das Hinter-die-Büsche-Hüpfen, In-Fremde-Kleider-Schlüpfen und all die peinlichen Phrasenblasen hinweg.
  Es ist kein Geringerer als der große Casanova - in die Jahre gekommen, aber immer noch scharfsinnig und lebensfroh - , der in Hanns-Josef Ortheils neuem Roman ein solches Libretto in der Luft zerreißt. Der Ort: Prag. Die Zeit: das Jahr 1787. Die Proben für Mozarts neue Oper laufen, die Premiere steht unmittelbar bevor. Was Lorenzo da Ponte als Text für diese neue Oper anbietet, nennt Giacomo Casanova "Wortmist", ein "Verbrechen an der Klang-Kunst", eine "jahrhundertealte Klamotte" über den Wüstling Don Juan, der nichts anderes im Kopf hat, als tierisch-gierig über ein Frau nach der anderen herzufallen. Allerdings benimmt sich da Ponte genau so wie seine primitive Figur und muß Prag noch vor der Opernpremiere verlassen. Casanova nimmt sich nun des Librettos an; er verfeinert und verwandelt den so wüsten wie verstaubten Don Juan in sein eigenes Spiegel-bild, Don Giovanni, den eleganten Genießer auf allen Gebieten - Essen, Liebe, Musik, am liebsten alles auf einmal -, den in allen Künsten der Verführung Erfahrenen, dem die Frauen nicht aus Haß hinterherlaufen, sondern aus Liebe.
   Unter Casanovas Führung erwachen auch die Frauen des Romans aus dem passiven Opferstatus zu aktivem Begehren. Um sie auf den Geschmack zu bringen, inszeniert der Sinnenprophet aus Venedig einen Maskenball voller geheimer Genüsse. Zunächst hat das Buch mit einem Alptraum begonnen. Anna Maria, die junge Gräfin Pachta, ins keusche Kloster weggesperrt, träumt sich als Opfer eines schändlichen Eindringlings. Am Ende, durch Casanovas Sinnenschule in entsprechende Schwingungen versetzt, greift sie sich selbst, in einer Art Rollentausch, den hübschen Diener Paolo im Zellenbett. Ist die Angst erst überwunden, löst der Alp sich in Lust auf.
   Und Mozart? Der bewegt sich, während er mit der Ouvertüre des Don Giovanni schwanger geht, eher am Rande von Casanovas Inszenierungen. Er flieht seine Verehrer(innen) und baut auf das Kraftfeld seiner Ehe mit Konstanze. Seine Revolution der Sinne entlädt sich in der Kunst, in der von den Fesseln muffiger Tradition befreiten Musik des Don Giovanni.
   Von der legendären Uraufführung dieses Werkes und ihre Vorgeschichte ist allerhand überliefert: wie sich die Sängerinnen eifersüchtig um die besten Arien schlugen und wie Mozart auf dem Weingut der Duscheks am Stadtrand in der Nacht vor der Premiere - die Kopisten waren beim Warten längst eingeschlafen - die gewaltige Ouvertüre aufs Papier warf. Nicht alles, was da erzählt wird, ist für bare Münze zu nehmen. Casanovas Anwesenheit bei der Premiere in Prag ist jedenfalls verbürgt. Er hat auch - das Autograph ist erhalten - in da Pontes Libretto hineinkorrigiert.
   Die Entstehungsgeschichte der Oper ergibt eine fruchtbare Romanvorlage. Ortheil hat das vorhandene Quellenmaterial geschickt genutzt und in der sorgfältig konstruierten Handlung die Zeit in den ihr eigenen Formen abgebildet. Versteckspiel, Intrige, Rollentausch, plötzliches Erkennen, unwahrscheinliche Zufälle - bald ist nicht mehr auszumachen, ob die Oper ihren Stoff aus dem Leben holt oder umgekehrt. Realistische Maßstäbe darf man hier nicht anlegen. Einige Figuren sind opernhaft überzeichnet - da Ponte als sabbernder Satyr, Josepha Duschek als die schrille Sängerin mit dem ausufernden Busen. Wein und Champagner (Champagnerarie!) fließen so reichlich, daß man schon vom Lesen einen Kater bekommt. Die Stadt Prag, die Mozart so begeistert feiert, ist Akteur und Kulisse zugleich. Anders als bei der Oper bleibt allerdings der Schluß offen.
   Mit der "Nacht des Don Juan" hat Hanns-Josef Ortheil seine "Trilogie der Künste" abgeschlossen: nach "Faustinas Küsse" (1998, über Goethe in Rom und das Schreiben) und "Im Licht der Lagune" (1999, die Malerei in Venedig) nun also Mozart und die Musik. Mit seiner Trilogie möchte Ortheil die Jahre unmittelbar vor der Französischen Revolution als eine Zeit der schöpferischen Krise und der Philosophie der Sinnlichkeit erfassen, das "moderne Erwachen aus dem Schlummer des alten Europa". Ein Unternehmen nicht ohne Risiko. Große Namen wecken hohe Erwartungen, der Autor bewegt sich auf gründlich beackertem Gelände. Mozarts Vaterbeziehung zum Beispiel, wie soll man dazu noch einen neuen Blickwinkel finden. Ortheil ist Musikwissenschaftler und hat über Mozart gearbeitet ("Mozart - im Innern seiner Sprachen", 1982). Trotzdem - der Roman kann nicht restlos überzeugen.
   Dies mag an einer Neigung zum überdeutlichen Erzählen lie-gen. So manches Geheimnis wäre wirklich eines, wenn nicht so viele Worte darum gemacht würden. Manierismen bei der Innendarstellung der Figuren ("er, Casanova") lassen den Autor hinter den Kulissen erkennen. Und dann die Sinnlichkeit. Die ist noch nicht heraufbeschworen, indem man Wachteln, Trüffel und Fasanensülze beschreibt. Zweifel regen sich aber vor allem gegenüber der zentralen Idee des Romans: aus Don Juan soll Don Giovanni werden, die Kunst sich aus alten Formen in eine neue Zeit befreien. Das Bild wirkt überanstrengt, Don Juans Verwandlung vom Wüstling zum Genießer hat nicht die Kraft, eine Zeitenwende zu illustrieren. Sie nimmt zudem der archetypischen Figur des Don Juan das Dämonische, ohne eine neue Dimension hinzuzufügen. Und daß ausgerechnet ein alter Mann, Casanova, dem am Ende des Romans nichts bleibt, als seine Memoiren zu schreiben, der große Erneuerer sein soll, ist wenig plausibel. Übrigens: Wenn man der Forschung glauben darf, haben seine Korrekturen da Pontes plattes Libretto keineswegs besser gemacht.

Eva Leipprand
 






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