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Horrorstory
auf hohem Niveau: Stewart O´Nans neuer Roman "Das Glück
der Anderen"
"Hochsommer, in Friendship ist alles still": So beginnt Stewart
O´Nans neuer Roman "Das Glück der Anderen" - und
man kann darauf wetten, dass dies die Ruhe vor einem großen Sturm
ist. Denn abgesehen davon, dass ein Handlungsort namens Friendship das
Verhängnis geradezu anzieht, ist ONan bekannt als Fachmann
für das Sezieren der amerikanischen Albträume: Der
bekennende Stephen-King-Bewunderer beschreibt mit Vorliebe Individuen
in Grenz- und Ausnahmesituationen, Charaktere, die zwischen Hoffnung
und Verzweiflung gefangen sind. Sein fünfter Roman macht da keine
Ausnahme. Im Gegenteil: Der Hauptfigur widerfährt so ziemlich alles
an Schrecklichem, was denkbar ist.
Jacob Hansen, ein Veteran aus dem amerikanischen Bürgerkrieg, hat in Friendship, Wisconsin, eine Art 3-in-1-Job: Sheriff, Leichenbestatter und Prediger in einem. Der Beruf ist für Jacob eher eine Berufung, schließlich betrachtet er Arbeit als eine "Lobpreisung des Herrn". So bestattet er alle Leichen mit der gleichen Hingabe und ist überdies ein liebevoller Ehemann und Vater. Ein Gutmensch, wie er im Buche steht.
Eines
Tages findet Jacob an einem Feld einen toten Landstreicher - und auf
dem Weg zu dessen Bestattung eine halluzinierende Frau. Die Diagnose
der beiden Fälle ist fatal: Diphterie, Seuchengefahr. Langsam,
aber sicher, verdichtet sich der Sturm, der da kommt. Bald schon fliehen
Menschen vor Angst in den Suizid und Jacobs einzige Tochter Amelia erkrankt.
Unerbittlich nimmt die Katastrophe ihren Lauf: Nachdem Amelia gestorben
ist, infiziert sich Jacobs Frau Marta - und ständig läutet
dazu die Kirchenglocke, um die Toten des
Tages zu verkünden.
Jacobs Erleben dieser Schicksalsschläge hat O´Nan in eine
eigenartige Erzählperspektive gebannt: die zweite Person Singular.
Das ist anfangs gewöhnungsbedürftig, mit fortschreitender
Lektüre aber zunehmend überzeugend. Zum einen, weil sich das
durchweg im Präsens präsentierte "Du" nicht nur
auf Jacob, sondern auch auf den Leser beziehen lässt. Zum anderen
wirken Jacobs verzweifelte Reflexionen, sein Hadern mit Gott und der
Welt, in der zweiten Person wie eine Selbstanalyse von außen,
wodurch sich intime und anonyme Perspektiven mischen und ergänzen.
Vielsagend
ist dabei auch das, was Jacob nicht ausspricht, die Gedanken, die er
nur andeutet oder abbricht - wobei auch deutlich wird, wie die Schrecken
der Epidemie für den Prediger Jacob auf eine Glaubensprobe stellen:
"Auf wen bist du wütend? Nicht auf Gott. Nein? Wer kommt sonst
noch in Frage? Ist das
hier das Werk des Teufels? So muss es sein, denkst du, bist dir aber
nicht sicher." Das Unglück ist zu ungeheuerlich, um sich einen
Reim darauf machen
zu können - aber das Dennoch-Weitermachen verleiht Jacob heldenhafte
Züge.
Um
das Desaster perfekt zu machen, rast zusätzlich zur Diphterieplage
eine Feuersbrunst auf die Stadt zu - eine Heimsuchung im Doppelpack,
die Jacob in
mehrere Double Binds verstrickt: Als Sheriff muss er eine Quarantäne
überwachen, als Menschenfreund müsste er die Einwohner fliehen
lassen. Als liebender Ehemann muss er seiner Frau beistehen, als Autoritätsperson
der
Dorfbevölkerung. Als Prediger glaubt er an Gott, als vom Schicksal
Geschlagener müsste er ihn verfluchen.
Was
passiert mit einem Menschen, der einem solchen Klimax der Grausamkeiten
ausgesetzt ist? Er wird verrückt. So versucht Jacob sein Alltagsleben
mit
seiner längst toten Familie weiterzuleben: "Du deckst den
Tisch, setzt alle auf ihren Platz. Später, unter der Bettdecke,
wärmt sich Martas Haut an dir."
O´Nan versteht es meisterhaft, diesen Horror unterschwellig, nach
und nach, im Leserbewusstsein zu wecken - wodurch sich die Dinge, zu
denen Jacob fähig wird, umso erschütternder entfalten. Als
das Feuer die längst am Boden liegende Stadt erreicht, wird es
apokalyptisch: Schwalben stürzen vom Himmel "wie große
Hagelkörner, wie ein Steinhagel", und es kommt zum dramatischen
Showdown. Am bitteren Ende ist Friendship von der Erdoberfläche
ausgelöscht - einzig Jacob ist dem Inferno entronnen. Doch aus
dem rechtschaffenen Sheriff und gottesfürchtigen Prediger
ist ein Mörder geworden, aus dem Totengräber ein Leichenschänder:
Jacob will stets das Gute - und schafft gerade dadurch stets das Böse.
Mit
"Das Glück der Anderen" (der Originaltitel "A Prayer
for the Dying" ist weitaus treffender) hat O´Nan ein Buch
von dichter Atmosphäre, individuellem Tiefgang und geradezu zeitlosem
Gehalt geschaffen. Eine Mixtur aus Gothic Novel, biblischer Sage und
Reflexion auf das menschliche Aushaltevermögen und die Frage, wie
viel Leid ein Mensch ertragen kann, ohne vom Glauben
abzufallen.
Abgesehen
von einem leicht überflüssigen Nebenplot um eine sektenartige
Religionsgemeinde ist der Roman hoch ökonomisch angelegt: kurz,
aber sehr plastisch erzählt und mit einer langen Nachwirkung. Eine
Horrorstory, die
philosophische Fragen stellt - nach Gut und Böse, Glaube und Verantwortung,
Verzweiflung und Erlösung, und nach dem (Über-)Leben im Angesicht
des Todes: "Das ist das Furchtbare: Du kannst nichts tun, außer
dein Leben weiterzuleben."
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