Stewart O'Nan

Das Glück der Anderen

Roman. Rowohlt, 224 Seiten. 39.90 DM . ISBN: 3-498-05028-1

Stewart  O'Nan: Das Glück der Anderen

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Horrorstory auf hohem Niveau: Stewart O´Nans neuer Roman "Das Glück der Anderen"


"Hochsommer, in Friendship ist alles still": So beginnt Stewart O´Nans neuer Roman "Das Glück der Anderen" - und man kann darauf wetten, dass dies die Ruhe vor einem großen Sturm ist. Denn abgesehen davon, dass ein Handlungsort namens Friendship das Verhängnis geradezu anzieht, ist O’Nan bekannt als Fachmann für das Sezieren der amerikanischen Albträume: Der
bekennende Stephen-King-Bewunderer beschreibt mit Vorliebe Individuen in Grenz- und Ausnahmesituationen, Charaktere, die zwischen Hoffnung und Verzweiflung gefangen sind. Sein fünfter Roman macht da keine Ausnahme. Im Gegenteil: Der Hauptfigur widerfährt so ziemlich alles an Schrecklichem, was denkbar ist.

Jacob Hansen, ein Veteran aus dem amerikanischen Bürgerkrieg, hat in Friendship, Wisconsin, eine Art 3-in-1-Job: Sheriff, Leichenbestatter und Prediger in einem. Der Beruf ist für Jacob eher eine Berufung, schließlich betrachtet er Arbeit als eine "Lobpreisung des Herrn". So bestattet er alle Leichen mit der gleichen Hingabe und ist überdies ein liebevoller Ehemann und Vater. Ein Gutmensch, wie er im Buche steht.

Eines Tages findet Jacob an einem Feld einen toten Landstreicher - und auf dem Weg zu dessen Bestattung eine halluzinierende Frau. Die Diagnose der beiden Fälle ist fatal: Diphterie, Seuchengefahr. Langsam, aber sicher, verdichtet sich der Sturm, der da kommt. Bald schon fliehen Menschen vor Angst in den Suizid und Jacobs einzige Tochter Amelia erkrankt. Unerbittlich nimmt die Katastrophe ihren Lauf: Nachdem Amelia gestorben ist, infiziert sich Jacobs Frau Marta - und ständig läutet dazu die Kirchenglocke, um die Toten des
Tages zu verkünden.


Jacobs Erleben dieser Schicksalsschläge hat O´Nan in eine eigenartige Erzählperspektive gebannt: die zweite Person Singular. Das ist anfangs gewöhnungsbedürftig, mit fortschreitender Lektüre aber zunehmend überzeugend. Zum einen, weil sich das durchweg im Präsens präsentierte "Du" nicht nur auf Jacob, sondern auch auf den Leser beziehen lässt. Zum anderen wirken Jacobs verzweifelte Reflexionen, sein Hadern mit Gott und der Welt, in der zweiten Person wie eine Selbstanalyse von außen, wodurch sich intime und anonyme Perspektiven mischen und ergänzen.

Vielsagend ist dabei auch das, was Jacob nicht ausspricht, die Gedanken, die er nur andeutet oder abbricht - wobei auch deutlich wird, wie die Schrecken
der Epidemie für den Prediger Jacob auf eine Glaubensprobe stellen: "Auf wen bist du wütend? Nicht auf Gott. Nein? Wer kommt sonst noch in Frage? Ist das
hier das Werk des Teufels? So muss es sein, denkst du, bist dir aber nicht sicher." Das Unglück ist zu ungeheuerlich, um sich einen Reim darauf machen
zu können - aber das Dennoch-Weitermachen verleiht Jacob heldenhafte Züge.

Um das Desaster perfekt zu machen, rast zusätzlich zur Diphterieplage eine Feuersbrunst auf die Stadt zu - eine Heimsuchung im Doppelpack, die Jacob in
mehrere Double Binds verstrickt: Als Sheriff muss er eine Quarantäne überwachen, als Menschenfreund müsste er die Einwohner fliehen lassen. Als liebender Ehemann muss er seiner Frau beistehen, als Autoritätsperson der
Dorfbevölkerung. Als Prediger glaubt er an Gott, als vom Schicksal Geschlagener müsste er ihn verfluchen.

Was passiert mit einem Menschen, der einem solchen Klimax der Grausamkeiten ausgesetzt ist? Er wird verrückt. So versucht Jacob sein Alltagsleben mit
seiner längst toten Familie weiterzuleben: "Du deckst den Tisch, setzt alle auf ihren Platz. Später, unter der Bettdecke, wärmt sich Martas Haut an dir."


O´Nan versteht es meisterhaft, diesen Horror unterschwellig, nach und nach, im Leserbewusstsein zu wecken - wodurch sich die Dinge, zu denen Jacob fähig wird, umso erschütternder entfalten. Als das Feuer die längst am Boden liegende Stadt erreicht, wird es apokalyptisch: Schwalben stürzen vom Himmel "wie große Hagelkörner, wie ein Steinhagel", und es kommt zum dramatischen Showdown. Am bitteren Ende ist Friendship von der Erdoberfläche ausgelöscht - einzig Jacob ist dem Inferno entronnen. Doch aus dem rechtschaffenen Sheriff und gottesfürchtigen Prediger
ist ein Mörder geworden, aus dem Totengräber ein Leichenschänder: Jacob will stets das Gute - und schafft gerade dadurch stets das Böse.

Mit "Das Glück der Anderen" (der Originaltitel "A Prayer for the Dying" ist weitaus treffender) hat O´Nan ein Buch von dichter Atmosphäre, individuellem Tiefgang und geradezu zeitlosem Gehalt geschaffen. Eine Mixtur aus Gothic Novel, biblischer Sage und Reflexion auf das menschliche Aushaltevermögen und die Frage, wie viel Leid ein Mensch ertragen kann, ohne vom Glauben
abzufallen.

Abgesehen von einem leicht überflüssigen Nebenplot um eine sektenartige Religionsgemeinde ist der Roman hoch ökonomisch angelegt: kurz, aber sehr plastisch erzählt und mit einer langen Nachwirkung. Eine Horrorstory, die
philosophische Fragen stellt - nach Gut und Böse, Glaube und Verantwortung, Verzweiflung und Erlösung, und nach dem (Über-)Leben im Angesicht des Todes: "Das ist das Furchtbare: Du kannst nichts tun, außer dein Leben weiterzuleben."






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