Michel Houellebecq

Plattform

Roman. DuMont, 340 Seiten. 24.00 EUR . ISBN: 3-8321-5630-5

Glatter Schnitt ins Fleisch der Liebe
Michel  Houellebecq: Plattform

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In Frankreich ein Skandal – Michel Houellebecqs dritter Roman

„Es besteht kein Zweifel, dass Houellebecq allem, was islamisch ist, feindselig gegenübersteht,“ empörten sich französische Moslems als sein dritter Roman „Plattform“ vergangenen Herbst in Frankreich erschien. „Ein neuer Salman Rushdie?“, fragten die Medien. „Ein Pamphlet für Sextourismus in der dritten Welt?“ Große Worte, hitzige Diskussionen, ein Skandal wie er im Buche steht. Für Michel Houellebecq nichts Neues. Wie immer hüllte er sich in vielsagendes Schweigen. Jetzt liegt „Plattform“ auf Deutsch vor. War der Wirbel berechtigt?

Zuallererst – das muss man zugeben – ist „Plattform“ ein gelungener, gekonnt erzählter, konsequent konstruierter Roman mit einer Houellebecq’schen Figur par excellence: Michel ist ein farbloser Beamter im Kulturministerium, ein Einzelgänger ohne Familie. Vierzig, verklemmt, frustriert. Ein Antiheld ohne Ideale, ein Fernsehzapper ohne Hobbys. Nach Dienstschluss geht er zur Selbstbefriedigung in die Peepshow, weil ihn der Anblick nackter Frauen genauso entspannt wie seine Kollegin das Essen von Schokotörtchen. Er hält sich für den mittelmäßigsten Menschen auf Erden. Doch ist seine Verklemmtheit so extrem, dass er nach außen als kuriose, höchst individuelle Figur erscheint. Einerseits ein blasser, kaftloser Durchschnittsmensch, andererseits ein, interessanter, seltsam vitaler Romanheld, dessen nüchternem Lebensprotokoll man mit gespannter Erwartung folgt.

Durch den Tod seines Vaters, der ihn völlig ungerührt lässt (eine Anspielung auf Camus „Der Fremde), erbt er genug Geld, um sich eine Pauschalreise nach Thailand zu leisten. Während er sich in „Massagesalons“ mit jungen Prostituierten amüsiert, auf paradiesischen Sandstränden am Anblick nackter Brüste ergötzt und literweise Mekong-Whiskey trinkt, ist er völlig unfähig, die Annäherungen seiner faszinierenden Mitreisenden Valérie zu erwidern. Erst nach der Rückkehr kommt es zum ersten Sex. Und zu einer immer intensiver, immer dauerhafter, immer emotionaler werdenden Beziehung, die Michel wie ein Wunder erscheint. Dass er, der deprimierte Eremit, jemals so viel Liebe erfahren sollte, hätte er nie erwartet. Die romantische Erlösung eines frustrierten Nihilisten.

Gemeinsam entwerfen Michel und die Tourismusmanagerin Valérie das Konzept zur Rettung einer maroden Ferienclubkette: „Eldorador Aphrodite“, eine Plattform zum Glück. Durch gezielte Prostitution sollen reiche westliche Urlaubsreisende sexuelle Erfüllung finden – in der Buchung inbegriffen. Das Konzept wird zum Erfolg. Valérie entscheidet, auf weitere Karrierepläne zu verzichten, und mit Michel als Geschäftsführerin eines „Aphrodite“-Clubs nach Thailand zu ziehen.

Houellebecqs Stil funktioniert wie eine unaufhaltsame, erbar-mungslose Maschine. Ob Liebe oder Hass, Sex oder Gewalt, die Erzählmaschine walzt mit lakonischer Kühle darüber hinweg. Und erzielt dabei nicht etwa eine Nivellierung der Emotionen, sondern im Gegenteil: eine verblüffende Intensivierung. Denn im Kontrast zum protokollarischen Grundton kommt jede Nuance, jede Farbe zur vollen Geltung. Gefühle werden verstärkt, Ironie ermöglicht, das Erschrecken einer Vergewaltigung gesteigert. Die Einbettung wissenschaftlicher Thesen, mal mit witziger, mal mit verstörender Wirkung, ist gelungen.

Dann der scharfe Schnitt ins Fleisch der Liebe: Um dem Sittenverfall Einhalt zu gebieten überfallen muslemische Terroristen den thailändischen Ferienclub. Valérie stirbt. Im Versuch, seinen Verlust durch Hass zu kompensieren, lässt Michel vor den Fernsehnachrichten sitzend einen jener vielzitierten Sätze fallen, die die Gemüter Frankreichs erregten: „Jedesmal wenn ich erfuhr, dass ein palästinensicher Terrorist, ein palästinensisches Kind oder eine schwangere Palästinenserin im Gazastreifen erschossen worden war, durchzuckte mich ein Schauder der Begeisterung bei dem Gedanken, dass es einen Muslim weniger gab.“

Sicherlich ist das nicht Houellebecqs Meinung, sondern die durch Leid und Verzweiflung motivierte Aussage seiner Hauptfigur. Wenn man auch zugeben muss, dass das Gesamtkonstrukt des Romans nicht zufällig so angelegt ist. Aber nur diesen Aspekt herauszugreifen, wäre unangemessen. Er ist sicher nicht der einzige Zündstoff dieses offensiven Romans. In seiner Zuspitzung globaler Phänomene, im direkten Aussprechen erschreckender Fakten, in einer Verschiebung bestehender Werthorizonte kann er viele Diskussionen entfachen. Und auch die Provokation eines leidenschaftlichen Protests darf als Qualität verstanden werden. Vielleicht nicht Houellebecqs bester, trotzdem ein lesenswerter, streitsüchtiger, stellenweise romantischer, stellenweise aggressiver Roman.






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