Michel Houellebecq

Ausweitung der Kampfzone

Roman. rororo, 169 Seiten. ISBN: 3-499-22730-4

Michel  Houellebecq: Ausweitung der Kampfzone

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Dringen wir in die Kampfzone ein. Schnelle 154 Seiten liegt der Fokus auf dem dreißigjährigen namenlosen Ich-Erzähler, der als Programmierer in einem Software-Unternehmen mit seiner sozialen Position soweit zufrieden ist. Sein unansehnliches Äußeres, seine depressive Neigung machen aber aus ihm einen in sexueller Hinsicht nicht gerade erfolgreichen und recht desillusionierten Typ. In seiner Einsamkeit versteigt er sich zu Äußerungen wie: "Ich liebe diese Welt nicht. Ich liebe sie ganz entschieden nicht. Die Gesellschaft, in der ich lebe, widert mich an; die Werbung geht mir auf die Nerven; die Informatik finde ich zum Kotzen...Dieser Welt mangelt es an allem, außer an zusätzlicher Information."

Seine letzte Beziehung liegt zwei Jahre zurück, war überflüssig und ruft in unserem sensiblen Helden nur desaströse Erinnerungen hervor, die durch den Hass auf die Psychoanalyse genährt wird, der sich die Freundin unterzog. Das Übel der "Schule des Egoismus" wird bestärkt durch Lacansches Gedankengut: "Je niederträchtiger Ihr seid, desto besser geht es." Das ist ein Moment zügelloser Gewaltbereitschaft, die sich ihre verbalen Entsprechungen sucht und wo die Rede von Arme brechen und Eierstöcke aufschlitzen ist. Auf einer dreiwöchigen Rundreise in die Provinz, auf die der Ich-Erzähler mit einem noch unappetitlicher aussehenden Kollegen geschickt wird, nimmt die Geschichte ihren monströsen Verlauf. Heillos frustriert, obszönen Gedanken nachhängend, sabbernd verfolgen sie am Heiligen Abend ein Liebespaar zum Strand, das der Begleiter erstechen soll. Der eine will den anderen zum Mörder machen, aber der Mord geschieht nicht, denn der eine will Sex und nicht morden. Jetzt muss Houellebecq die Figur nur noch herausschreiben, deshalb der anschließende Autounfall.

Im dritten Teil Diagnose Depressionen. Bleischwer lastet das Leben auf dem Ich-Erzähler: "Misserfolg, überall Misserfolg. Nur der Selbstmord funkelt unerreichbar über mir." Und der zunehmende Zusammenbruch zeichnet sich ab, "das Lebensziel ist verfehlt". Der düstere Entwurf, der sich aus dem Gespräch mit einer Psychologin, da nun selbst in Behandlung, restlos abzeichnet, gründet auf der fundamentalen Unvereinbarkeit von männlichem und weiblichem System, deren Attribute Geld und Sex, die erweiterte Kampfzone, die Gesellschaft gleichermaßen erbarmungslos in Sieger und Verlierer spaltet. Da steht er und fragt sich verbittert, wie den Menschen das Leben gelingt, wo es doch durch einen Mangel an Liebe - der fehlende Lichtblick - nur defizitär sein kann.

Michel Houellebecq setzt nicht nur einen emblematischen Titel sondern auch sehr gekonnt eine lakonische Sprache, Teil eines konsequenten Realismuskonzeptes, das zudem von der extrem beschränkten Erzählperspektive getragen wird und auf die traditionelle Seelenschau verzichtet. Grund genug für die französische Literaturkritik von einer literarischen Revolution zu sprechen. Denn Houellebecq geht soweit, explizit über die Romanform selbst zu reflektieren, die sich nicht dafür eignet, das wiederzugeben was nicht ist, sieht er sich doch ganz der schriftstellerischen Prämisse verpflichtet, die Wirklichkeit nachahmen zu wollen. Pathos- und schmucklos und in bisweilen recht schnoddrigem und ins Triviale reichendem Ton wird erzählt; ein dürres Gerippe bestehend aus komprimierter Information, das immer wieder von Passagen voll Poesie durchzogen ist.

Romantischen Werten ("Ja, wenn man Werte hätte...") wie der Liebe verpflichtet, der Schriftsteller durch und durch Moralist, so wird die Gegenbewegung zum bösen und verzweifelten Drumherum verständlich. In manischer Wiederkehr häufen sich Geschichten von Selbstmord, mit tragisch-komischem Klang im Thomas Bernhardschen Sinne, der Unfalltoten, der Euthanasietoten, dem beinahe Tod des Ich-Erzählers, seinem geträumten Tod, seinem versuchten Selbstmord, dem Wunschtod Tisserands. Konstant ziehen sich Motive wie Blut und Erbrechen durch den Text. "Doch der Anblick von Blut, der Geruch von Erbrochenem erwecken in uns den Schrecken des Todes und versetzen uns manchmal in einen Zustand von Ekel, der uns grausamer trifft als der Schmerz" (Bataille). Aber nicht Ekel habe er bei der Niederschrift seines Romans empfunden sondern Scham, so der Autor. Sollte der Leser sich irritiert oder unbehaglich fühlen, dann liegt das gewiss mit an der andauernden Dialogizität zwischen ihm und dem Ich-Erzähler, die sich in dessen Handreichung äußert: "Ich bin da. Ich lasse Sie nicht fallen. Lesen Sie weiter. Erinnern Sie sich noch einmal an Ihr Eindringen in die Kampfzone."

Schon sind wir drin, wir "geneigter Freund und Leser" und blicken auf ein extrem reduziertes Wahrnehmungsfeld, in dessen Hohlform wir womöglich nur unsere eigene soziale und erotische Verarmung erkennen, denn wir leben ja gerade in dieser Informationswelt, in der "das Maß an Verwirrung und Aufregung beträchtlich ist". Wenn wir die Romane von Houellebecq besser lesen würden, sie "wortwörtlicher nähmen", dann begriffen wir seine Kritik des Bösen. Kaum am Literaturhimmel aufgetaucht, werden ihm auch schon positive wie negative Etikettierungen angeheftet, die von der Skandalfigur über Superstar des Bösen und Begründer eines neuen Realismus reichen. Das meint der Autor, wenn er betont, dass sein Werk "in vorher festgelegte Kategorien eingeordnet wird, anstatt es zu lesen".

Ausweitung der Kampfzone erschien 1999 beim Verlag Klaus Wagenbach. Die gelungene Übersetzung stammt von Leopold Federmair. Die französische Originalausgabe erschien 1994 unter dem Titel Extension du domaine de la lutte im Verlag Maurice Nadeau in Paris. Houellebecq, 1958 geboren, heimste mit diesem Roman den "Prix Flore" für den besten Erstlingsroman ein. Lesenswert ist auch sein nächster Roman Elementarteilchen und auf die angekündigte Popplatte sind wir gespannt.

Radio-Tipp: Das WDR 3 Forum Hörspiel strahlt am 5. Juli um 22 Uhr die "Ausweitung der Kampfzone" als Hörspiel aus.






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