Ingrid Hofmann

Japan auf den Versen

Lyrik. Alkyon, Weissach. 89 Seiten. 9.40 EUR . ISBN: 3-933292-67-0

Haiku & mehr: malende Gedichte, Gedichtmalereien
Ingrid  Hofmann: Japan auf den Versen

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In den neunziger Jahren lernte die Autorin Hofmann ein japanisches Paar kennen, das sich in Stuttgart etwas verloren vorkam. Wenige Jahre später erhielt Ingrid Hofmann von diesen Bekannten, einem Professor aus Tokio und seiner Frau, eine Einladung ins Land der aufgehenden Sonne. Die Autorin ließ sich nicht lange bitten.

Sie verbrachte vier erlebnisreiche Wochen zwischen Japanischem Meer und Pazifischem Ozean, zwischen Fujijama und Shinkansen, Kyoto und Kyushu. Es war die schönste Jahreszeit, in April und Mai: die Zeit der Kirschblüte, die von Japanern wie ein Weltwunder gefeiert wird.

Die Autorin
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Hofmann lebt seit 1957 in Stuttgart. Da sie in ihrer Jugend sehr reiselustig war, hat sie viele Länder besucht. Seit 1991 veröffentlicht sie Texte in den Jahresanthologien des ‚Studium Generale’ der Uni Stuttgart. Der Lyrikband "Japan auf den Versen" ist ihr erstes Buch.

Der Alkyon-Verlag gibt kleine Bände Prosa und Lyrik heraus, die nicht nur aus Baden-Württemberg kommt, sondern auf auch aus Russland, Griechenland oder Spanien. Dabei tritt der - am 30. Juli 2004 verstorbene - Herausgeber Rudolf Stirn mitunter selbst auch als Autor auf.

Die Texte
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Der erste Abschnitt ist dem Abfliegen und Ankommen gewidmet: "reise: wege", der zweite Abschnitt der Erkundung Tokios und seiner Vorstädte Shin-Nakano und Shinjuku.

der kranich [der Lufthansa-Maschine] //
schwimmt stundenweit
im fahrwasser nacht
taucht ein ins wolkenmeer
taucht ein aus gutem grund //
narita [der Tokioter Flughafen] //
am ufer
schreiben augen
willkommen

Im dritten Teil wagt sich die Dichterin hinaus nach Kamakura, zum Tempel des großen Buddha.

zwei vogelfüße
auf dem pflaumenblütenzweig
die braut geht schwanger //
zwischen alten stammbäumen
parkplatz für kinderwagen

Auch Haikus gibt es hier in Fülle:

sieh die wildenten
im flug nebeneinander
gefahr im anzug

finstere zeiten
der neumond ein schwarzmaler
die börsen wechseln

Danach erkundet sie den Rest von Japan: "fund: orte" und "kyushu: von insel zu insel".

Niigata [eine Stadt am Japanischen Meer]
hitzewellen schwimmen
über bleichen sand //
unbeschrieben
das blatt in meiner hand
ich falte ein boot //
tauche ein
ins japanische meer //
gedankenlang

Den Abschluss bilden drei Abschnitte mit den Überschriften "innen: wege", "steine und gärten" sowie "im atem des zen". Hier wird nacheinander eine Summe gezogen jener Eindrücke, die die Autorin von dem besuchten Land und seinen Menschen mitnimmt.

eine stunde vor mitternacht //
der mond
hält seine runde scheibe
vor mein gesicht //
vom licht geblendet
legen sich die lider
über meine augen //
behutsam
tropft die nacht
in den traum

teppich der kiesel //
in klaren linien
zeichnet der rechen
seine legende //
in den raum der stille

Den Schluss bildet ein Brief:

ferner brief //
auf grün: blassem japanpapier
schreiben sich kirschblüten
zwischen sätze //
zierlich laufen worte
über zeilen
jetzt //
hinter geschlossenen augen
schwimmt land im meer //
ich sehe den fuji
aus der ebene steigen
reisfelder wachsen //
zeit
läuft
zurück

Sonstiges
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Als sehr hilfreich erweist sich das angehängte Glossar. Die Autorin erklärt viele wichtige Namen, die in in ihren Texten auftauchen, so etwa Sumida, den Fluss, der durch Tokyo fließt, oder Ryokan: "Gasthaus im japanischen Stil". Die Glossarbegriffe sind in den Texten durch Großschreibung kenntlich gemacht - ein sehr hilfreicher Hinweis.

Das Buch ist grob in Abschnitte eingeteilt, welche durch Zwischenüberschriften wie "im atem von ZEN" - Achtung, Glossarbegriff! - sowie ein passendes Schriftzeichen, ausgeführt in Tusche, gekennzeichnet sind. Allerdings ist diese Kapiteleinteilung im Inhaltsverzeichnis verloren gegangen.

Mein Eindruck
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Viele Texte sind der japanischen Lyriktradition verpflichtet. Wir finden dreizeilige Haikus sowie fünfzeilige Tankas und Rankas. In ihnen hat die Autorin die strengen Regeln befolgt, die sich in der tausendjährigen Tanka- und Haiku-Tradition bis 1886, als sich das Land dem Westen öffnete, herausgebildet hatten. So ist der karge visuelle Eindruck obligatorisch vorhanden, beispielsweise der Flug der Wildenten, der auf irgendeine Weise bemerkens-wert ist: "im flug nebeneinander", also nicht in Pfeilformation. Daraus wird eine intuitive Schlussfolgerung gezogen, die eines altrömischen Vogelflugdeuters würdig wäre: "gefahr im anzug".

Mich hat immer wieder dieser Dreischritt in Denken und Empfinden wie magisch in eine Szene hineingezogen, nur um dann wieder mit einem neuen gedanklichen Schlenker daraus ervorgestoßen zu werden. Genau so wie Tuschezeichnungen mit wenigen Andeutungen in Strich- und Punktform ihr Motiv - mitunter ein Schriftzeichen - darzustellen suchen.

In den prägnanten visuellen Eindrücken verrät sich das Auge der Malerin, die Hofmann ist. Tatsächlich malte sie auch vor Ort, manchmal unter den Augen von Bewunderern. In der Gestalt aus Text und Bild spiegelt der Lyrikband die harmonische Einheit dieser Kunstformen wieder.

In den Texten selbst finden sich Neufügungen ebenso wie Neuprägungen. Zu den Neufügungen gehören "nacht: wärts", auf "nebel: gleisen", "schwarz: schattender Gingko". Sie sind häufig gekennzeichnet durch einen Doppelpunkt, der das erste Wort abstoppt und das zweite anschließt - eine bemerkenswerte Wirkung.

Interessante Neuprägungen - zumindest in der deutschen Sprache - sind: "schwimme dem teeweg zu" (vermutlich ist die heilige Teezeremonie gemeint); "tropft die nacht in den traum", "in den raum der stille". Dass die Stille ein Raumm sein kann und ein Raum Stille umfangen kann, ist eine dem Zen-Buddhismus sehr nahestehenden Vorstellung. Sie wird konkret in den Steingärten, in denen Kiesel das Meer symbolisieren und ein mit Bonsaibäumen bewachsener Fels das japanische Festland. Die Mönchen rechen die Kiesel, als würden sie eine Legende in die resultierenden Rillen schreiben. Eine Legende ist selbst "etwas zu Lesendes" oder eine Leseanleitung (wie in Landkarten). In höchster, poetischer Verdichtung fängt das Gedicht "teppich der kiesel" verschiedenste Assoziationen zu einem neuen Ausdruck der Welt ein.

Unterm Strich
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Ingrid Hofmann fasziniert mich mit ihren lyrischen Kurztexten. Sie bringt mir ein traditionsreiches Land näher, das sich einerseits selbst in tiefgreifendem Wandel befindet, zum anderen aber auch von einer Angehörigen der westlichen Kultur mit offenen Augen wahrgenommen wird. Daraus ergeben sich nicht nur humorvoll wirkende Kontraste, sondern auch poetische Momentaufnahmen, die in eigenständiger Sprache ihren angemessenen Ausdruck finden.

Selbst alte Hasen unter den Lesern, die täglich mit Lyrik zu tun haben oder selbst Gedichte schreiben, finden in "japan auf den versen" noch Anregungen. Zumal zahlreiche Gedichte exakt den strengen Vorgaben für die Form von Haiku, Tanka und Ranka gehorchen. Sie bieten Anschauungsunterricht, wie man es richtig macht. Der ausgereiften Form entspricht ein bemerkenswerter Inhalt, der von visuellen Eindrücken, zahlreichen Gegenüberstellungen und philosophischen Gedankengängen aufgeladen ist. Es lohnt sich, sich der neugierigen Führerin anzuvertrauen und ihren Pfaden zu folgen.

Michael Matzer (c) 2004ff

Info: Alkyon 2003, Weissach; 89 Seiten, EU 9,40, ISBN 3-933292-67-0; 1. Auflage beinahe vollständig vergriffen, 2. Auflage wg. Verlegertod ungewiss.






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