Es gibt nicht
viele Bücher, die wirklich unter die Haut gehen.
Eines
davon ist
Buddy Giovinazzos neuer Roman "Broken Street".Gerade weil Giovinazzosie so unrührselig
vorträgt, brennt sich die Geschichte direkt in die
Herzwand ein.
Giovinazzo erzählt
von einem jugendlichen Kleinkriminellen, dessen Namen er
wenn ich‘s recht entsinne an keiner Stelle erwähnt. Anfänglich gerademal
zwölf Jahre alt, wächst er auf in einer der gottverlassenen Gegenden
inNew York, die die Verwaltung schon lange aufgegeben hat
und sich selbstüberlässt. Der Vater, der wie wir erst
später erfahren über den Krebstodseiner Frau nie hinweggekommen
ist, versucht sein eigenes Schicksal inAlkohol zu ersäufen
und konserviert es damit nur. Allein die alte, schwarze Nachbarin
Mrs. Bailey kümmert sich ein wenig um den Jungen und dessen
jüngeren Bruder Ray, und das auch schon mal mit Blicken, die einem
das Gesicht zerkratzen. Doch Mrs. Bailey, der einzige Fixpunkt
für Zuneigung im Leben der Brüder, stirbt bald.Zentraler
sozialer Ort sind die Basketball-Courts, auf dem die Kidsabhängen,
mal einen Korb werfen, aber sich vornehmlich mit Dope und andereDrogen
zudröhnen, mit THC, Uppers und Downers, Pilze, LSD Speed, DMT ganzegal.
Und für eine Linie Koks kann man seine Jungfräulichkeit bei Hurenverlieren,
die selbst kaum den Kniestrümpfe entwachsen sind.Die Brüder
rutschen weiter ab: Aus der Dealerei mit Dope wird Dealerei mit Koks.
Und Koks bringt die konkurrierenden Kolumbianer auf Trapp: Ganglandgerät
in blutigen Aufruhr. Autoklau, Einbrüche, Schießereien schließlich
der Knast; der Ort, wo eine scheinheilige Gesellschaft in der Regel
die letzte Chance auf Resozialisierung verspielt:
"Drinnen,
das waren Geräusche aus einer anderen Welt. Schrill. Durch dieGitterstäbe
drang das Echo der Wehklagen des Wahnsinns, des Hasses und des
Schmerzes, unterlegt von Anweisungen aus einer Lautsprecheranlage.
Und immer gegenwärtig, die abgestandene, üble Luft, als
bewegte man sich in einem Abflussrohr. Mir war speiübel,
und ich kam gerade erst rein.(...) Im
Speisesaal bekam man einen Löffel, mehr nicht. Verlor man ihn oder
wurdeer
gestohlen, musste man wie ein Tier mit den Händen essen. Ich sah,
wie ein Typ beim Kampf um seinen Löffel getötet wurde.
Irgendein Irrer schlug ihn erst mit einem Metallhocker
zusammen und hämmerte dann seinen Kopf auf den Boden,
obwohl er schon längst bewusstlos war. Als die Ordnung wieder
hergestellt worden war, schafften die Wärter die Leiche weg und
ließen das Blut aufwischen. Ich verließ meine Zelle nur,
wenn ich dazu gezwungen war. Nur hinaus auf den Gang
zu gehen konnte eine Prügelei provozieren."
Giovinazzo
erzählt von Menschen, die schon lange nicht mehr die Kraft
aufbringen, sich von ihrem Elend abzuwenden. Er erzählt seine Geschichte
hart und unsentimental. Selbst der Blick auf seine Hauptfigur ist
mitleidslos. Giovinazzo zeigt aber auch, wie die Menschen in diesen
Ghettos - in denen sich die Cops allenfalls blicken
lassen, um die Leichen einzusammeln – einander zu halten
versuchen. Er zeigt dies an ihren rührend ungelenken,
aber herzaufrichtigen Gesten. Das toughe, coole Kiez-Kid
lässt er in eine schräge Liebesgeschichte stolpern, der
er emotional überhaupt nicht gewachsen ist und zu seinem
eigenen Leid so richtig vermasselt. Und wie Giovinazzo die Figur
des Vaters - anfänglich nur eine stinkig-versoffene Requisite,
die neben dem Fernseher liegt langsam aus seinem debilen
Dämmerzustand hervorholt, stellt Frank McCourts "Angelas
Ashes" in den Schatten. Giovinazzos bewegender Roman
hat nur einen Fehler - er hat ein Ende. Aber dieses Manko
lässt sich dadurch ausgleichen, dass man gleich nochmal von
vorne anfängt. Ich wette, das wird vielen so gehen.
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