Philippe Djian

Die Romane

Roman. Diogenes, ISBN: 3-257-21671-8

Philippe  Djian: Die Romane

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Ich habe angefangen zu schreiben, nachdem mir eine Bekannte sagte, sie liebe Philippe Djian. Ich wollte, daß sie mich auch liebt. So kommt jeder auf seine Art zur Schriftstellerei. Jetzt hocke ich hier am PC und zerbreche mir den Kopf über die sechs auf Deutsch erschienenen Romane Philippe Djians, des Idols.
Wie kein anderer provoziert Djian Vergleiche mit berühmten Vorgängern. Mag sein, weil er sich selbst in seinen Romanen unentwegt auf diese Riesen beruft und sich vor ihnen verneigt, vor Miller, Kerouac, Fante, Brautigan, Bukowski, Celine, Cendrars, Hemingway und in späteren Werken Joyce, Thoreau oder Pynchon. Wahr ist aber auch, daß Djian bei ihnen schöpft, sowohl thematisch als auch stilistisch. Ein Vorwurf des Plagiats wäre hier aber absurd. Trotz der Nähe zu den Gurus ist jeder seiner Romane ein echter Djian: Eine einfache Handlung, eingebettet in eine einzigartige Form, in diese dynamische, teils kunstvoll erlesene, teils künstlich geschaffene Umgangssprache. Daß diese Sprache auch im Deutschen ihre Seele nicht verliert, ist sicher den kongenialen Übersetzungen von Michael Mosblech zu verdanken - neben Carl Weissners und Joachim Kalkas Übersetzungen ein weiteres Beispiel für das verborgene Potential des Deutschen. Es ist nicht nur eine Sprache der Philologen und Philosophen. Würde ich sie sonst gelernt haben?
Ja, Djian gehört nicht zu dem Schriftstellertyp, über den Bukowski höhnte: "Ah, das ist der, der statt ficken immer noch liebemachen schreibt." Gerade wegen der Lebensnähe seiner Sprache wird Djian begeistert von den Jüngeren gelesen, von den Generationen, die den zweitausend Jahre lang erhobenen Moralfinger der Heuchler angesichts von Mord und Totschlag in der Welt nur müde belächeln. Wie sagte Henry Miller?: "Obszön ist für mich die Atombombe." Es scheint, seit Millers Wendekreis des Krebses ist im Königreich der Literateratur schon vieles hoffähig geworden. Doch der Schein trügt. Die Moralapostel sind die gleichen geblieben, sie haben nur ihr Vokabular geändert. Sie sagen jetzt nicht, dieser oder jener Ausdruck, diese oder jene Handlung gehöre nicht in die Literatur, sie verstecken sich hinter Pseudobegriffen. Heuchler sind sie und schon immer gewesen. In seinem Juni-Tagebuch schreibt Helmut Krausser: Die deutsche Altväterkritik gebraucht liebend gern zwei Hammersynonyme: 'Kalauer' für Witz und 'pubertär' für sexuell. Dahinter steckt Prüderie und Humorfeindlichkeit.
Ich kenne noch einen anderen Hammerbegriff: Du kannst in einer Geschichte tausendmal Hand oder Fuß oder Bein schreiben, und keiner regt sich auf, wenn du aber nur einmal Schwanz oder Arsch oder Bumsen im Text stehen hast, dann sei das plakativ. Absurd aber wahr! So bin ich dankbar, wenn jemand den Mut hat, dem Leben nach dem Mund zu schreiben, wie es Phillippe Djian tut. Und überhaupt! Vor jedem Mann, der zugibt, daß ein geiler Frauenarsch für ihn die höchste Spiritualität sei, falle ich auf die Knie! Ich verbeuge mich vor seiner Ehrlichkeit! Von wegen Sexismus... Perverser als jede Art von Geilheit finde ich Begriffe wie unbefleckte Empfängnis und Ähnliches. Was sind das nur für Menschen, die das Schönste, das ihnen von ihrem Gott (keine Ahnung, ob es ihn gibt) gegeben wurde, in den Dreck ziehen?
Trotz kräftiger Sprache ist Djian kein Außenseiter, er ist ein durchaus bürgerlicher Autor, der bestimmte Grenzen nicht überschreitet. Seine Moral heißt jeden Tag so angehen, als ob er der letzte wäre, und die anderen Leute daran teilnehmen lassen, immer, obwohl sie einem manchmal auf die Eier gehen! Seine Romane sind keine Underground-Literatur, mehr moderne Märchen, die die simple Botschaft tragen: Macht das beste aus dem Leben! Dieser Sanftheit und der ultimativen Lebensbejahung, dieser Apfelbäumchenphilosophie wegen haben Djians Bücher relativ schnell hohe Auflagen erreicht. Seine Ich-Helden geben sich nie eine negative Blöße, sie driften nie in die schwarzen Bereiche der Seele ab wie die Helden Fantes, Millers oder Bukowskis. Djians Ich-Erzähler ist ein moderner Prinz.
Djians Romanen fehlt zwar die literarische Tiefe der Romane Henry Millers, die Verrücktheit Arthuro Bandinis von John Fante, das unbeschreibbar traurige Underdog-Gefühl mancher Bukowski Erzählung, aber... Djian schenkt dir ein paar nette Stunden, er bringt dich zum Lachen und versucht, dich mit der unerträglichen Leichtigkeit des Seins zu versöhnen. Ja, Freunde! Lest Djian! Ich hab ja keine Literaturwissenschaft studiert, um euch einen toten Dichter empfehlen zu müssen. Jetzt mal ehrlich! Ist es nicht schon genug für uns Leser, daß deutsche Literaturkritiker im Fernsehen nach der Bitte, den Zuschauern ein gutes Buch zu empfehlen, üblicherweise mit der neuesten Ausgabe von Faust in der Luft wedeln?
Djians zweitem Buch, dem Roman, Blau wie die Hölle (sein erstes Buch, der Erzählband 50 contre 1, erschien nicht auf Deutsch) steht als Motto ein Céline Zitat vor: Am Anfang war die Emotion. Und tatsächlich spielt sich der ganze Roman in Bewegung ab, on the road, als ob Djian auf eins seiner Vorbilder, Jack Kerouac, einen Nachruf hätte verfassen wollen. Der Tribut an einen toten Wilden. Genauso erinnert der Stil des Romans an den alten Beatnik: Die langen Abschnitte aneinandergereihter Hauptsätze, durch Kommas getrennt; wenn ich den Text laut lese, treiben mich die Sätze an, sie immer schneller zu lesen, immer schneller, bis ich nach Atem schnappe. Insofern ein passendes Motto, das von Céline. Aber gottverdammt! Ich hab keine Lust ein ganzes Buch hindurch nach Atem zu schnappen!
In Blau wie die Hölle geht es nicht mehr um Bewußtseinserweiterung wie bei Kerouac, da geht es nur um Thrill. Die Beat-Generation nahm Drogen, um der Schöpfung näher zu kommen; in Blau wie die Hölle wird gekifft und gesoffen, um sich möglichst schnell zuzudröhnen - um der Schöpfung zu entgehen. Das könnte vielleicht das Lebensgefühl der No-Future-Generation richtig wiedergeben, doch der Nihilismus des Romans wird verspielt. Dafür sind die Haupthelden zu gut, dafür wälzt sich Djian zu sehr im Sentiment. Und den Gott Vater spielt er hier: Er weiß alles, was seine Personen denken, und wahrscheinlich besser als sie selbst. Wo bleibt da die Kunst?
Die Handlung des Romans ist relativ einfach: Zwei Männer und zwei Frauen werden von einem ausgeflippten Bullen und seinen zwei Gehilfen quer durch ein nicht genanntes Land gejagt, das den Leser stark an die USA erinnert. Und nicht nur das Land, auch der Plot ist wie aus einem Hollywooddrehbuch: Der Polizist ballert alles runter, was ihm in die Quere kommt, er will sich eine der flüchtenden Frauen, seine Ehefrau, zurückholen. Wie in vielen Frühwerken findet man auch in Djians erstem Roman hemmungslose Metaphern wie ...sein Verstand war weich wie türkischer Honig, der in Flammen zergeht..., plumpe Weisheiten: ...und es ist hart, allein zu sein, wenn man zwanzig ist und sich sucht... und pathetische Sätze: ...ein Mann, der allein ist, ist stets eine monströse und erhabene Maschine... Andererseits blickt in diesem Buch schon Djians Humor durch, so zum Beispiel wenn eine der Heldinnen nach Hause kommt, im Badezimmer zwei an die Heizung gekettete fremde Männer entdeckt und sich dem Zeitgeist entsprechend cool gibt: Sie streifte ihren Slip nach unten und setzte ihren Hintern auf die Brille, dann Blickte sie Ned (einem der Angeketteten) in die Augen und pinkelte geräuschvoll. "He, wer sind denn die Typen im Badezimmer?" brüllte sie. (Ihren Vater an, der im Wohnzimmer sitzt.) Und auch vor Tiefsinn hat Djian keine Angst: ...das Mädchen an der Theke hatte ein winziges Sommerkleid an, das machte sie beinahe schön... Den Schlüsselsatz des Romans findet man auf Seite 266: "Ich will auch nicht sterben, das heißt aber nicht, daß ich Lust habe zu leben. Ich bin einfach nur da." Ja, genauso könnte ich über Djians ersten Roman sagen: Ich hab keine Lust gehabt, ihn zu Ende zu lesen, aber ich hab's einfach getan.
In Djians folgendem Roman, Erogene Zone, beschreibt der Ich-Erzähler, P. Djian, die Entstehung seines letzten Buches: Noch bevor der Tag anbrach, hatte ich eine Passage von dunkler Schönheit gepackt, es klang fast wie Kerouac in seinen lichtesten Momenten... Ja, Djians zweiter Roman ist eine Hymne auf Djians Stil, und ich will ohne Häme zugeben, daß er nicht übertreibt. Ob es aber irgendwann dazu kommt, daß man ihn endlich in den Schulen durchnimmt und irgendein junger Kerl seine Dissertation über ihn und seinen Haß auf das Semikolon schreibt, bleibt abzuwarten. Jedenfalls scheint sein Haß auf das Semikolon tief verwurzelt zu sein, wie aus einem seiner vielen herrlichen Party-Dialoge hervorgeht: "Ah ... Sie sind Schauspieler?" meinte er. "Ja, erkennen Sie mich nicht? Ich bin der Würgeengel des Semikolons." Djian hat eine lebendige, humorvolle Sprache entwickelt, es macht immer mehr Freude, sein Zeug zu lesen, trotz des vielen Banalen und Platten, das mich manchmal an die Sprüche meines senilen Klassenlehrers erinnert: ...ja, auf dieser Welt brauchte man nicht den Schlaumeier rauszukehren, da mußte man versuchen, seinen Teppich zu befestigen, und konnte nicht immer alles darunter kehren...
In der Erogenen Zone wird das Schreiben des Romans durch einen wilden Geschlechterkampf überschattet. Djians Freundin Nina ist nicht gewillt, Djians Schreibexzesse hinzunehmen. Einmal muß sie der Autor den Händen eines Perversen entreißen, einmal vor einer Vergewaltigung retten, und so geht es das ganze Buch hindurch: Nina reißt aus, Djian versucht, sie zu vergessen, sie durch Nebenbeschäftigungen aus dem Kopf zu verdrängen: "Soso, paß auf, du willst mit mir reden, und ich will mit dir bumsen. Warum tun wir uns nicht zusammen?" (Jesus! Eine solche Anmache muß jedem Mädchen die Sprache verschlagen. Da heulen die Partydiplomaten wie Hunde.) Und dann holt er Nina wieder zurück, und das Leben ist wunderschön, bis das Schreiben wieder losgeht, bis die nächste Krise kommt. In der Erogenen Zone wird der Kunstgenuß des Helden anspruchsvoller als der der Personen in Blau wie die Hölle, die nur in (Porno)Zeitschriften blättern und vor der Glotze hocken. Hier geht der Held sogar ins Kino: ...und dann guckte ich mir Rambo an, den Stallone-Film, super, ich scheiß auf die Avantgarde. Spätestens hier habe ich gelernt, Djian so zu lieben, wie ihn meine Bekannte liebt, weil ich es mit der Avantgarde genauso halte wie er. Tja, aber Sylvester Stallone? Dann schon lieber den Arnie Schwarzennegger!
Betty Blue, Djians dritter und bekanntester Roman, ist ein gutes Stück literarischer als Erogene Zone. Djian wird von Buch zu Buch besser, und die Plattheiten und Redundanzen verschwinden weitgehend. Die Kino-Version von Betty Blue von Beineix, obwohl ein Kultfilm, hat mich nicht übermässig begeistert. Das Buch ist entscheidend besser. Wie schon in der Erogenen Zone ist auch hier Henry Millers Einfluß unübersehbar: Wer würde bei Betty nicht an Millers Mona denken. Beide Heldinnen wollen ihre Jungs zu den größten Schriftstellern der Welt machen, und beide gehen an ihrer Ausgeflipptheit zugrunde, jede auf ihre bezaubernde Art. Der rote Faden des Buches, der Versuch von Betty und dem Ich-Erzähler, seinen ersten Roman bei einem Verlag unterzubringen, erinnert mich aber mehr als an H. Miller an Arthuro-Bandini-Bücher des genialen und unübertroffenen John Fante, vor allem wenn Betty in Bandinis spontaner Manier ihren (Djians?) verständlichen Haß auf die Verleger auslebt: Sie bewirft das Haus eines Verlegers mit Farbbomben, und einem anderen zerreißt sie die Backe mit einem Kamm.
Betty Blue ist Djians erstes Kunstwerk: Entgegen den früheren Romanen sagt er hier nicht alles, er spielt schon mit dem Leser. Hinter der Handlung spürt man, wie die Geschichte unausweichlich auf den Abgrund zusteuert. Auch seine absurden Sprüche und grotesken Szenen wählt Djian sorgfältiger aus als früher. Echte Leckerbissen manchmal! Oder hat schon jemand von euch eine entzückendere Kritik an Hardcore-Horror gelesen: Wir guckten uns beim Essen einen Horrorfilm an, irgendwelche Typen kletterten aus einer Grabstätte und sausten durch die Nacht, dabei stießen sie schreckerregende Schreie aus. Kurz vor Schluß gähnte ich und schlief sogar für ein paar Sekunden ein und als ich die Augen wieder aufmachte, dauerte der Alptraum an, sie hatten eine alte Frau in einer verlassenen Straße gefunden und waren dabei, ihr ein Bein abzunagen. Sie hatten goldglänzende Augen und sahen mir zu, wie ich eine Banane schälte. Wir warteten bis die Drecksäcke allesamt einem Flammenwerfer zum Opfer fielen, dann gingen wir schlafen. Ähnlich wie der Autor, haben auch seine Helden eine künstlerische Entwicklung durchgemacht: Jetzt schaut man sich nicht mehr den Sylvester Stallone an, jetzt liest man Carlos Castaneda und sogar James Joyce. Hut ab! Da bleibt meiner kleinlauten Prophetenstimme nichts anderes übrig, als in der jetzigen Wüste der Beat-Literatur zu rufen: "Bereitet dem Herrn den Weg! Ebnet ihm die Straßen!" Nehmt's aber nicht allzu ernst. Wir leben doch in der Postmoderne. Nur der Teufel weiß, was ich am Ende dieses Artikels rufen werde!
Ein Jahr nach Betty Blue schrieb Djian einen Roman, den ich seinen besten finde: Verraten und verkauft. Fantastisch wie Djian Spannung erzeugt. Zu Ende des Romans steigert sie sich so unerträglich, daß man über die Sätze hüpft, um an die verdammte Auflösung der Geschichte heranzukommen wie an einen Schuß. Manche seiner Kunstgriffe sind großartige Literaturparodien: So, wenn Djian Banales in raffinierte Formen gießt: Ein Schriftsteller-Kollege besucht (mit einem Unbekannten) den Ich-Helden und seinen Mitbewohner Henry und sagt: Freunde, darf ich euch Victor-Serge vorstellen. Ich glaube, er hat euch einen Vorschlag zu machen... Dann geht es weiter um völlig andere Probleme und der Leser wird nervöser und nervöser: Um was für einen verfluchten Vorschlag ging es?.., bis sich ein paar Seiten weiter zeigt, daß Victor-Serge den beiden einen Job vorzuschlagen hatte, im Laden von Victor-Serges Vater die Etiketten Eier vom Tage mit den Etiketten Frische Eier zu überkleben.
Die Handlung von Verraten und verkauft ist komplexer als bei Djians vorigen Büchern, aber dennoch relativ einfach. Der Ich-Erzähler, ein Schriftsteller, lebt gemeinsam mit Henri, seinem etwa zwanzig Jahre älteren Dichter-Freund. Teilweise wohnt Gloria, Henris Tochter, mit ihnen, die wiederum um einige Jahre jünger ist, als der Erzähler. Somit ergibt sich ein Drei-Generationen-Konflikt. Dazwischen mischt sich Henris Exfrau, die im Alter des Erzählers ist und die ganze Situation kompliziert. Ihre Tochter, Gloria, sorgt dank ihrer Vaterliebe und ihres entflammten Hasses auf den Ich-Helden für Gaudi.
In Verraten und verkauft kommt Djians soziale Einstellung (ist er deswegen der Guru der deutschen Social-Beat-Literatur?) am stärksten zum Vorschein. In keinem der Bücher Djians Vorbilder lebt man so exzessiv in der Gruppe wie bei ihm, nicht einmal bei Kerouac. Obwohl zum Beispiel Kerouacs Ich-Erzähler zu Dean Moriarty in Unterwegs eine enge Beziehung hat, handelt es sich trotzdem um eine ausgesprochene Haßliebe: Man ist zusammen und dann wieder allein. Dagegen sind Djians Ich-Held und Henri so lange dicke Freunde, bis äußere Begebenheiten es nicht mehr erlauben. Und was mir am meisten gefällt, ist, daß sie auch gemeinsame Kasse machen: Ein Balsam für mein trauriges Herz: Wo doch hier im Westen selbst Ehen nach dem Jederfürsich-Prinzip geführt werden. Tja, was soll`s! Wahrscheinlich sind da die Franzosen den Deutschen etwas voraus. Auch in diesem Buch verkneift es sich Djian nicht, über die Avantgarde herzuziehen: Das Mädchen auf der Bühne ballte die Fäuste und verglich ihre Menstruation mit dem Blut Christi.
In Erogene Zone überwiegen die Gags, in Betty Blue wieder die düsteren Lebensschläge, in Verraten und verkauft hat Djian eine harmonischen Weg zwischen seinem Humor und dem Ernst der Handlung gefunden. Super!
In Rückgrat, Djians nächstem Roman, ist langsam Schluß mit dem Beat: Djian wird älter und genauso sein Ich-Held. Statt Talking Heads, Paul Simon und Country (nur kein Hard-Rock, um ja kein modischer Schriftsteller zu werden!) wie früher, hört der Ich-Erzähler jetzt klassische Musik: Sibelius, Skriabin und Mahler, ähnlich dem guten alten Bukowski, aber das ist auch schon alles, was einen noch an Underground erinnert. Man wird konventioneller. Das schadet dem Roman keineswegs und dem Haupthelden sowieso nicht - die von uns, die es nicht schaffen, mit vierzig etwas leiser zu treten, machen es auch nicht lange mit (bis auf ein paar rühmliche Ausnahmen; ich denke an dich Hank, wo auch immer du uns von da oben zugrinst). Und das Wichtigste, Djians Stil, überlebt auch das Brav-Werden! Die Handlung ist wie immer einfach: Dan, ein schreibgehemmter Schriftsteller, vor Jahren mal berühmt, jetzt nur ein Auftragsschreiber, ein Drehbuchautor (Fante läßt wieder grüßen) für miserable Fernsehserien, muß sich mit den eigenen und den Liebesproblemen seines Sohnes herumschlagen. Die Frau und Mutter hatte sie vor einigen Jahren verlassen, simultan zu Dans literarischer Muse. So trottet Dan mit Hilfe von Heikus, Zen-Weisheiten von Gochiku, Masahide und Dogen und eigenen Lebensweisheiten auf die unvermeidliche Große Befreiung zu: Er fängt wieder an zu schreiben! Also ein Happy-End? Ja! Zu Ende des langen Zazens wird der Held erleuchtet: Man solle als Mensch Schriftsteller sein, und nicht als Sklave! Dann kann man wieder Bücher verbrechen. Tja! So einfach ist bei mir noch nie etwas gegangen! (Und dabei hocke ich seit zehn Jahren im Lotossitz - eine Stunde am Tag.) Aber wer wollte bestreiten, daß das Leben zuweilen durch Absurdität glänzt. Sagt der Autor, und das kann ich nur bestätigen.
Wie in allen seinen Werken glänzt Djian auch in Rückgrat nicht durch Gedankentiefe, sondern durch den Zauber des Banalen und durch die entzückenden Bilder und Szenen aus dem Alltag. Kann man mit zwei einfachen Sätzen ein schöneres Bild des Vaters und des Sohnes malen als Djian? Kann ein Vater, der Ich-Erzähler, einen Augenblick der Verbundenheit mit seinem Sohn hübscher beschreiben?: Ich war leicht besoffen. Ich legte für einen Moment meine Hand auf seine Schulter, die Lippen um meine Zigarre gepreßt, die Augen zusammengekniffen, dann nickte ich und schlüpfte in meine Jacke. Ja, Djian ist der Papst des Sentimentalen. Aber ich zähle mich auch zu ihr, zu seiner Kirche. Trotz Gilbert Sorrentino, der sagt, die Sentimentalität gehöre nicht in die Literatur. Verdammtnochmal! Dann ist Djians Zeug halt keine Literatur! Trotzdem lese ich es gerne!
In Djians letztem auf Deutsch erschienenen Roman Pas de deux steht: Edith hat sich verrannt. Ich glaube, sie versucht eine seriöse Schriftstellerin zu werden... Genau das gleiche Gefühl habe ich jetzt bei Djian. Obwohl es hie und da Abschnitte gibt, die der göttliche Fante nicht besser schreiben könnte, verschwindet Fantes Einfluß zunehmend, und Pas de deux erinnert mehr an John Irving als an Fante. Das Buch ist ein Schmöker für breite Leserschichten, manch Absurdes bleibt, aber das Menschliche, das Ehrliche, das freimütige Sichbekennen zu einem genußvollen Anblick (freier Blick für freie Bürger und Bukowski auf die Burg), das, weswegen uns arglose Genießer, manch prüder Zeitgenosse als Spanner oder Sexisten beschimpft, das wird nur sehr sparsam eingesetzt. Dadurch leidet Djians Humor.
Auf einer Erzählebene verfolgt der Leser das Heranwachsen des Ich-Erzählers, des Musiklehrers Henri-John, seiner zukünftigen Frau Edith und ihres Bruders Oli in der großen Familie der Mitglieder des Sinn-Fein-Balletts. Bei dieser Geschichte mußte ich ständig an Hotel New Hampshire und andere Bücher Irvings denken. Sogar der typische Irving-Tick ist ansatzweise da (ein Freund von mir sagt, wenn Irving nicht weiter weiß, läßt er die Hälfte seiner Helden umkommen): Bei einem Autounfall stirbt Olis Frau, und Oli überlebt verkrüppelt. Aber nichts gegen Irving: Den Garp, den Wassertrinker und Das Hotel New Hampshire habe ich auch gern gelesen, trotz des Bestsellerformats.
In Pas de deux ist der Ich-Erzähler, Henri-John, entgegen Djians Tradition kein Schriftsteller, sondern ein Musiklehrer. Hier leidet unter der Schriftstellerei seine Frau, Edith. Henri-John schlägt sich mit seiner Liebe zu ihr herum, mit Freund und Feind unter seinen zwei heranwachsenden Töchtern und mit dem Haß auf Ediths Agenten, das Arschloch Robert Lafitte. (Obgleich sie zahlenmässig weniger vertreten sind als früher, gibt es sie, gottseidank, bei Djian noch immer, die Arschlöcher.) In einem schwachen Augenblick, am Anfang, des Romans kann Henri-John der Ansicht nicht widerstehen, als sich eine seiner Arbeitskolleginnen bei ihm zu Hause im Badezimmer nach vorn beugt: Ich habe den Anblick eingehend gewürdigt. Dann trat ich auf sie zu. Ich habe einen Finger in das Gummi ihres Höschens gesteckt, und sie stützte sich aufs Bidet und spreizte die Beine. Dadurch entstehen dann die ganzen Probleme, dank ein paar lustiger Minuten, wie es im Leben halt immer so bescheuert läuft: Edith will die Scheidung, und Henri-John braucht ein ganzes Buch dazu, bis er das ganze wieder hingebogen hat.
Von der Konstruktion her ist Pas de deux Djians komplexester Roman, er spielt sich in zwei Zeitebenen ab: Während der Gegenwart in Frankreich und in den Staaten und während der Kindheit und des Heranwachsens von Henri-John, Edith, und Oli. Eine dritte Ebene, quasi einen zweiten Blick, stellen Auszüge aus Ediths Jugend-Tagebuch dar, das Henri-John nach der Trennung von Edith in die Hände fällt.
Obwohl Djians Ich-Held jetzt kein Schriftsteller mehr ist, schlägt sein Herz weiter für die Literatur: Am 21. Januar 1961 gab Cendrars den Löffel ab. Das versetzte uns einen Schlag. Am 1. Juli war Céline dran, und am 2. jagte sich Hemingway eine Kugel durch den Kopf. Nach den früher immer wieder erwähnten Vorbildern Kerouac, Miller, Fante, Brautigan fährt jetzt Djian unter vollem Dampf in die Postmoderne: Unter anderem liest sein Held Don De Lillo und Thomas Pynchon. Doch immer wieder blickt der alte Djian durch, so, wenn zum Beispiel eine 26-jährige einem 18-jährigen von dem Podest der Erfahrung herab erklärt: "Weiß du, das ist etwas anderes als ein Eis zu schlecken." (Und das ist schon unser Preisrätsel, liebe Freunde: Um was für ein Schleckobjekt handelt es sich hier?)
Obwohl ich Djians letzten auf Deutsch erschienenen Roman als Lektüre empfehlen kann, reißt er mich nicht vom Hocker. Mag sein, ich bin übersättigt. Um dieses Portrait zu schreiben, habe ich mir alle Romane Djians zum zweiten Mal reingezogen, bevor ich mir Pas de deux vornahm. Dann ist es vielleicht verständlich, daß mir Frankreichs Extreme Gegenwart (Hrsg. Christiane Baumann und Gisela Lerch; mit einem Gespräch mit P. Djian und einem Djian-Artikel von Jürgen Ritte) momentan bis zum Halse heraushängt.
Also, macht's gut, Leute! Ich werd mich jetzt mit Bukowskis Hot water music in meine Lesekneipe verziehen. (Jaromir Konecny)

Veröffentlichungen:

50 contre 1 (1981, Erzählungen)
Bleu comme l'enfer (1982)
Deutsch Blau wie die Hölle (1990) im Diogenes Verlag,
aus dem Französischen von Michael Mosblech
Zone érogène (1984)
Deutsch Erogene Zone (1987) Diogenes, M. Mosblech
37,2° le matin (1985)
Deutsch Betty Blue, 37,2° am Morgen (1986) Diogenes, M. Mosblech
Maudit Manège (1986)
Deutsch Verraten und verkauft (1988) Diogenes, M. Mosblech
Echine (1988)
Deutsch Rückgrat (1991) Diogenes, M. Mosblech
Crocodiles (1989, Erzählungen)
Deutsch Krokodile (1993) Diogenes, M. Mosblech
Lent dehors (1991)
Deutsch Pas de deux (1994) Diogenes, M. Mosblech
Sotos (1993)

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Copyright / © Sabine und Oliver Gassner, 1998 --






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carpe librum ist ein Projekt von carpe.com  und © by Sabine und Oliver Gassner, 1998ff.

Das © der Texte liegt bei den Rezensenten.   -   Wir vermitteln Texte in ihrem Auftrag.   -   librum @ carpe.com

Impressum  --  Internet-Programmierung: Martin Hönninger, Karlsruhe  --  19.06.2012