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Chuck Palahniuk

Das letzte Protokoll

Roman. Goldmann, München. 19.90 EUR . ISBN: 3-442-54593-5

"Bloß nicht so klingen wie andere Schriftsteller"

Chuck  Palahniuk: Das letzte Protokoll

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Seit Fight Club Kult-Klassiker, ist Chuck Palahniuk nun auch hierzulande auf der Schwelle zum Bestseller-Lieferanten. Ein bestechender Chronist unserer Zeit bleibt er weiterhin – mit oder ohne Publikum

Seine ersten Romane wurden im deutschen Blätterwald kaum registriert. Außer in der taz oder Rolling Stone wurde er auh nach der Verfilmung seines Romans Fight Club kaum beachtet. Geändert hat sich das mit Lullaby und nun auch seinem jüngsten Roman Das letzte Protokoll: Deutschlands Nachrichtenmagazine und die Feuilletons der bürgerlichen Presse berichten ausführlich über sein Werk, seine Lesungen und über den Mann, der sein Aussehen mit jedem Buch verändert.

Das letzte Protokoll ist Chuck Palahniuks sechster Roman. Stilistisch wie inhaltlich eine konsequente Weiterentwicklung, ist das Buch der Kritik zufolge so gelungen - oder fürchterlich - wie kein anderes.

In der Form eines Tagebuchs, eines Koma-Tagebuchs erzählt die Künstlerin Misty Wilmot ihrem nach Selbstmordversuch im Koma befindlichen Ehemann von dem Leben auf Waytansea Island. Das Weiterleben und Überleben auf der Insel steht im krassen Gegensatz zu dem beruhigend-zuversichtlichen "Wait and see": Das Familienerbe ihres immer schon autodestruktiven Gatten wird von Krankenhausrechnungen dezimiert, die Künstlerin muss als Zimmermädchen im Hotel jobben. Sie wird schikaniert von der Schwiegermutter und den Neureichen, die sich in der Inselidylle zur Ruhe setzen. Der Amerikanische Alptraum besteht aus global gültigen Paradoxien - den Reichen, die Abgeschiedenheit suchen, dabei die unberührte Idylle derart bevölkern, dass der ursprüngliche Reiz für immer verloren geht - und aus dem Wahnsinn, der in den Kellern des Kapitalismus entsteht, der anscheinend surreale Wahnsinn, in dem Zimmer verschwinden, in dem Hasstiraden mit Blut auf Wände geschmiert werden, kleine Weisheiten an ganz anderen Stellen auftauchen: "Nur um das festzuhalten: Heute lässt deine arme Frau im Speiseraum des Hotels ein Buttermesser fallen. Als sie sich bückt, um es aufzuheben, spiegelt sich etwas in der silbernen Klinge. Wörter, die an die Unterseite von Tisch sechs geschrieben sind. Auf Händen und Knien hebt sie den Rand des Tischtuchs an. Zwischen angetrockneten Kaugummis und Popeln steht da auf dem Holz: Lass dich nicht noch mal von ihnen reinlegen."

Palahniuk watet erneut durch die Katakomben westlicher Zivilisationen. Er dekliniert den ganz normalen, ganz gemeinen Alltag derer, die an den Rändern von Fortschritt und Reichtum gerade noch so eben überleben. Das bleibt immer unterhaltend, da scharfsichtig dargestellt, schockend, da Palahniuk nur vor einem Angst hat: Leser zu langweilen. Als Komposition, als mosaik-ähnliches Gebilde aus Satire und Horror, plus ein paar feingeschliffene Beobachtungen wie von Douglas Coupland, ist Das letzte Protokoll komplexer als die bisherigen Romane von Chuck Palahniuk. Das Geheimnis der verschwindenden Zimmer ist profan - die Eingänge zu den Räumen wurden zugemauert, Türrahmen eingeebnet mit der Wand -, doch andere Geheimnisse und Plots werden so zusammengeführt, dass einem am Ende der ganze ganz normale Wahnsinn um die Ohren fliegt. Kakophonie statt Koda. Bei dem Personal, das auch diesen Roman bevölkert, kein Wunder. Chuck Palahniuk dazu im Interview: "Sie sind verzweifelt. Es sind Leute die sich bemühen, etwas besser zu machen, Antworten zu finden. Wenn man Figuren hat, die nicht verzweifelt sind, dann verliert eine Story an Tempo. Ich finde, es gibt genügend lahme, langweilige Bücher. Ich würde lieber das Risiko eingehen und ein Buch schreiben, das ein bisschen zu verrückt ist, als der Welt noch ein weiteres lahmes Buch zu präsentieren. Denn zur Zeit gibt es wirklich zu viele lahme und langweilige Bücher."

Über fehlendes Tempo wird sich kein Leser Palahniuks beschweren. So wie schon in Fight Club, wo sich Männer, die nichts mehr fühlen, gegenseitig verprügeln, nur um etwas zu empfinden, wie in Lullaby, wo ein Kinderliedchen Menschen in einen Schlaf lullt, aus dem sie nicht mehr erwachen, so strotzt auch Das letzte Protokoll vor originellen Einfällen. Und es ist ein neuerlicher Lagebericht aus dieser heutigen, von Medienoverkill geprägten Welt, wo Informationen und Halbwissen nur einen Mausklick entfernt sind, wo Armut inmitten von Überfluss nur einer der immer selbstverständlicheren Widersprüche ist. Auch Misty Wilmot ist sich dessen bewusst. In Das letzte Protokoll führt sie - als Opfer und als Künstlerin - auch darüber Buch: "Theorie des Selbstausdrucks. Das Paradox des professionellen Künstlers. Wir verbringen unser Leben damit, uns gut auszudrücken, haben aber nichts zu erzählen. Wir wollen, dass Kreativität etwas mit Ursache und Wirkung zu tun hat. Wir wollen Ergebnisse, Produkte, die wir vermarkten können. Wir wollen, dass Hingabe und Disziplin von Anerkennung und Belohnung aufgewogen werden."

So wie alle Romane Palahniuks liest sich Das letzte Protokoll weniger wie eine Kreuzung aus Horror und Kunst, Krimi und Gegenwartskritik, sondern vielmehr wie ein Frontalzusammenstoß dieser Elemente. Anders und neu sind vor allem die Details, ihre Anordnung. Anstelle autoaggressiver Männer agiert hier eine Künstlerin im Vordergrund. Und sie beschäftigt das uralte wie zeitlose Thema der Kreativität - und dem dafür vermeintlich nötigen Leiden: "Du hast gesagt", erinnert die Witwe auf Stand-by ihren komatösen Gatten, "Michelangelo sei manisch-depressiv gewesen und habe sich beim Malen selbst als gehäuteten Märtyrer porträtiert. Henri Matisse habe seinen Anwaltsberuf wegen einer Blinddarmentzündung aufgegeben. Robert Schumann habe erst zu komponieren angefangen, als er, weil seine rechte Hand gelähmt war, seine Karriere als Konzertpianist aufhören musste."

Palahniuk, für den jedes Erzählen - an den Lagerfeuern der Neandertaler genauso wie morgens um drei in der Küche - eine Art Aderlass ist, ein Loslassen, ein Sich-loslösen von meist unangenehmen Erlebnissen, Palahniuk im Gespräch dazu: "Über diesen Prozess wollte ich schreiben. Aber Bücher über das Schreiben - Schreiber, die über Schreiber beim Schreiben schreiben - das ist mir wirklich zuwider. Ich persönlich finde, dass das die niederste Form von Belletristik ist. Mehr ich-bezogen als über das Schreiben eines Schreibers zu schreiben, kann man gar nicht sein. Ich hasse das."

Chuck Palahniuk, laut Bret Easton Ellis "der Don DeLillo unserer Generation", legt mit Das letzte Protokoll ein kleines Meisterwerk vor. Es ist aber auch sein widerwärtigstes Buch, finsterer und gemeiner und hoffnungsloser als seine bisherigen Romane. Glaubt man Berichten über jüngste Lesungen des Autors, so dürfte er mit seinem nächsten Werk, einer Komposition aus mehreren Stories, auch dies übertreffen: Zuhörer fielen regelmäßig in Ohnmacht.

© Matthias Penzel, 2005. Original erschien dieser Artikel in Rolling Stone 6/2005






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