Raymond Chandler
Trouble Is My Business: The Raymond Chandler Library
Krimi. Byron Preiss Multimedia, New York. ISBN: 039475767X
Wo steckt The Little Sister?
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Vielleicht nicht unbedingt im deutschsprachigen Raum, mit Sicherheit aber im englischsprachigen wird man irgendwann festhalten, daß Raymond Chandler einer der wichtigsten US-Autoren dieses Jahrhunderts war. In Reportagen über Aufstände in Los Angeles wird er genauso zitiert wie in Reflektionen zur Schwarzen Serie. Denkt man an Krimis mit Klasse - ob mit wenig Licht auf der Leinwand oder viel Atmosphäre zwischen Buchdeckeln -, so fällt sein Name. Wie schon Jörg Fauser betonte, ließ sich Chandler als einer der ersten Autoren maßgeblich vom Medium Film und seiner Erzählweise inspirieren. Eine Story begann nicht länger mit der Geburt der Urgroßmutter des Protagonisten, sondern mit dem Set, dem Jetzt. Er entwarf Szenen mit der Eleganz, mit der eine Femme fatale ihre Lippen blutrot bemalt. Mit spartanischer und immer sicherer Präzision folgten auf die Details des Sets, die der Kleidung, Bildung und Mentalität des Gegenübers. Schnitt. Marlowe, der ultimative Detektiv. Eine Stimme wie ein Schluck Old Forester. Und Action! Ideal für Filmemacher? Gerade neulich produzierte Sydney Pollack die Verfilmung der Kurzgeschichte I'll Be Waiting (mit Bruno Kirby, Regie führte Tom Hanks). So cineastisch Chandlers Schreibe aber auch ist, filmogen sind seine Romane nicht. Selbst Regisseure wie Dmytryk und Altman kamen nur selten an den Witz, die feinen Untertöne seiner Bücher. Nach Kindheit in Chicago, klassischer Erziehung in England, kam der im Zuge der Wirtschaftskrise gescheiterte Öl-Konzernmanager Anfang der Dreißiger nach Kalifornien - "the department-store state. The most of everything and the best of nothing". Hier sah er, was die Reichen unter ihre orientalischen Teppiche und Brücken kehrten, außerdem den Schimmel in den Kellern der Hütten, hier kratzte er den Dreck unter den Fingernägeln des LAPD hervor... Und er faßte es so treffend in Worte, daß ihn RKO Studios und Hitchcock anheuerten. Seine Drehbücher für The Blue Dahlia und Frau ohne Gewissen wurden für Oscars nominiert. Hollywood liebte ihn... und er haßte es. Sowohl seine Biographie als auch seine Notizen zu dem bereits während der dreißiger Jahre schwer angeschlagenen Amerikanischen Traum und dem schon während der Vierziger übel dahingammelnden Los Angeles geben Anlaß (und Stoff) genug für eine CD-ROM über den Mann, sein Werk, seine Kreation. Trouble Is My Business: The Raymond Chandler Library ist in der Tat nicht viel mehr als eine Library, eine Chandler-Buchreihe - allerdings keine vollständig zufriedenstellende. Die Angebote im Menü sind überschaubar angeordnet und leicht anzuklicken. 'Timeline', eine überraschend kurze Biographie, ermöglicht Hyperlinks zu Fotos und nicht entzifferbaren Zeitungsausschnitten (beim Klicken auf Farewell, My Lovely erscheint ein Brief zu dem Manuskript für The Long Good-bye!); dann gibt es eine Auswahl Briefe, einen "interactive" Stadtplan von Marlowes L.A., der einen eine Zeitlang nach dem Besonderen daran stöbern läßt, eine 'Rogues Gallery' mit Bildchen von an die hundert Charakteren, etwa halb so viele Fotos des Los Angeles der Vierziger, und zwei Dutzend mittelmäßige Film-Clips. Die Novelle Playback - Chandlers einziges niemals verfilmtes Buch - ist enthalten, wogegen The Little Sister fehlt (!). The Simple Art Of Murder ist enthalten, andere Essays leider nicht; und sie wären sicher sehr unterhaltsam gewesen, sicher eine richtig zynische, tough, hard-boiled, schrotflintige Lektüre, wie viele seiner Briefe und Dokumente über seine Kämpfe in und mit Hollywood dokumentieren. Dank der restlichen Romane und einiger Short stories sind ernsthafte Textstudien möglich: Man kann leicht nach Stichworten suchen und sich an Passagen wie "She knew about as much about rare books as I knew about handling a flee circus" erfreuen. Die oben zitierte Stelle zum Supermarkt-Staat Kalifornien wird man allerdings nicht finden, denn die stammt aus The Little Sister. Schaltet man den Computer-Screen ab, so bleibt der Gesamteindruck ein ähnlicher, wie beim Starren auf den Silver-Screen im Kino: Man greift sich danach wieder einmal diesen Stapel Bücher, faltet die DIN-A1 Karte von L.A. auseinander und wandert und wundert sich durch die Gassen und Hinterhöfe von South Central, durch die Privatstraßen von Bel Air. Klare Sache: Irgendwann wird einer ein Virtual-Reality-Kit zusammenbasteln, mit dessen Hilfe man das alles durch die Augen Chandlers sehen kann. Oder, noch besser, durch die Augen seiner Kreation, dieses Schnüfflers mit diesem ganz speziellen Unterton in der Stimme, diesen ganz eigenen Vorstellungen von Moral und Manieren... Und ich werde sofort losstürzen, um zu sehen, was davon zu halten ist. Das Problem jeder Bearbeitung literarischen Stoffs - und die Schönheit von Chandlers Schreibe - bleibt aber dieselbe: Der Marlowe, den wir mit uns im Kopf herumtragen, ist bei jedem ein anderer. Daher heißt es jetzt erst mal weiterhin: I'll be waiting.
© Matthias Penzel, 2004. Original erschien dieser Artikel in der Frankfurter Rundschau vom 27.01.1996
TROUBLE IS MY BUSINESS... AND BUSINESS IS GOOD!
Be it riots in L.A., another film noir revival, or any review of a new thriller - Raymond Chandler gets quoted.
He would set the scene, pick ingredients with the elegance of a starlet applying blood red to her lips. Enter Marlowe, quintessential private eye, voice like a shot of Old Forester. Cue: action. As cinematic as Chandler's writing was, screen adaptations somehow never equalled the wit and the wisdom of the books. When in California - "the department-store state. The most of everything and the best of nothing" -, Chandler looked for the sham under the Oriental rugs of the rich, the basements of the poor; here he scratched the dirt from under the fingernails of the LAPD. And he captured it so acutely that Hitchcock hired him. His scripts THE BLUE DAHLIA and DOUBLE INDEMNITY were nominated for Oscars. Hollywood loved him... and he hated it.
But does his work translate from the silver screen to the computer screen? Both his career, and chronicle of an already rotting '40s L.A. give plenty of material (and reason) for a CD-ROM. TROUBLE IS MY BUSINESS: THE RAYMOND CHANDLER LIBRARY is just that: a library - and not a comprehensive one at that. Included are 'Timeline', a surprisingly brief biography with a couple of hyperlinks to photos and undecipherable newspaper cuttings (when clicking on FAREWELL, MY LOVELY a letter concerning his manuscript for THE LONG GOOD-BYE appears!); there is a collection of letters, an "interactive map of Marlowe's L.A." (fun for a brief stroll), a 'Rogues Gallery' of some 100 characters, roughly half as many stills of '40s Los Angeles, and 24 mediocre movie clips. The novella PLAYBACK - which ended up being Chandler's only book not made into a movie - is included, whereas THE LITTLE SISTER is missing (!). While THE SIMPLE ART OF MURDER is included, other essays are sadly omitted; and they could have been fun, tough, hard-boiled and cynical fun, as many of his letters and records about his struggle with Hollywood document. However, serious text study is possible: you can search for and compile a list of similes such as, "She knew about as much about rare books as I knew about handling a flee circus" or "as sexy as a rat-trap"...
All in all the computer screen left me with a similiar feeling as the silver screen: It encouraged me to get out those books once again, unfold my A1 map of L.A. and wander and wonder. One day someone will come up with virtual reality based on Chandler's creation, that private eye with that tone in his voice, that set of moral codes and manners... And I will rush out to see, if I agree with the virtual reality version. The problem for any adaptation - and beauty of Chandler's writing - remains: Marlowe as we see him with our mind's eye is different to anyone else's.
© Matthias Penzel, 2004. This review was originally published in Wired 2.03 (UK edition), and also in 1996 in Wired 4.06 (US edition).
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