Brian W. Aldiss

Künstliche Intelligenzen

SF. Heyne, München. ISBN: 3-453-19100-5

Superspielzeug und Kubricks Traum
Brian W.  Aldiss: Künstliche Intelligenzen

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Superspielzeug und Kubricks Traum

Steven Spielbergs Film "A.I. – Künstliche Intelligenz" startet am 13. September in unseren Kinos (siehe meine Filmbesprechung vom Juli). Die literarische Vorlage lieferte der britische Autor Brian Aldiss an Stanley Kubrick, der das Projekt dann an Spielberg weitervererbte. Nach Kubricks Tod 1999 realisierte Spielberg eine Version der Geschichte, die zwar auf drei in diesem Band gesammelten Stories basiert, aber in wesentlichen Punkten davon abweicht und sie um etliche Dimensionen erweitert.

Vorwort

In seinem Vorwort erzählt Aldiss von der Entstehung des Kubrick-Projekts "A.I.". Mit sehr subtilem Humor lässt er durchblicken, welche Art von Mensch Kubrick (SK) war. Er zeigt viel Verständnis für dessen Bedürfnis, unabhängig zu bleiben. SK wollte im Grunde seinen Welterfolg "2001 – Odyssee im Weltraum" wiederholen. Zu dem hatte ja ebenfalls ein Science Fiction-Autor die Vorlage geliefert: "The Sentinel" stammte von Arthur C. Clarke.

Doch Brian Aldiss ist mittlerweile klar, warum "A.I." scheitern musste: Während nämlich die Bewegung in "2001" nach außen, in die Tiefe des Alls gerichtet war, richtete sich "A.I." in die Innenwelt der Psyche. Denn nur dort sind Mensch und Androide voneinander zu unterscheiden, wenn sie äußerlich ununterscheidbar geworden sind. Die nach innen gerichtete Bewegung aber widersetzte sich den technischen und erzählerischen Mitteln zu Kubricks Projekt-Zeit, also in den Achtzigern. Er machte statt dessen "Full Metal Jacket".

Filmhistorisch ist dieses Vorwort von hohem Interesse, und auch literarisch hat es durch seinen Humor einen gewissen Unterhaltungswert – mehr aber auch nicht. Vielleicht können wir aber auch froh, dass wir diese Informationen überhaupt bekommen haben, denn Aldiss ist mit 76 Jahren doch schon recht betagt.

Die David-Stories

Die 21 Stories zerfallen in zwei Teile. Während 18 unabhängig vom Film zu lesen sind, so bilden die ersten drei die Grundlage der AI-Geschichte: "Superspielzeug hält den ganzen Sommer", "Superspielzeug bei Einbruch des Winters" und "Superspielzeug in anderen Jahreszeiten". Sie erzählen vom künstlichen jungen David und seinem Teddy, mit dem er am liebsten spielt. David liebt seine menschliche "Mutter", doch seine Liebe wird tragischerweise nicht erwidert.

Es ist eine kalte Welt nach der Umweltzerstörung. Roboter ersetzen Menschen in vielerlei Hinsicht, nicht nur als Kinder. Denn das Bevölkerungswachstum ist streng reglementiert, wie heute in China. Eines Tages erhält Davids "Mutter" durch die staatliche Lotterie die Genehmigung, ein Kind zu bekommen. Leider stirbt es. Diese Möglichkeit, ihre Ehe mit dem Manager des Roboterherstellers, der David-Androiden erzeugt, zu kitten, schlägt also fehl. Diese Ehe war ebenso virtuell wie die Einrichtung ihres Apartments: lediglich eine Projektion. Als die Einrichtungsprojektion abgeschaltet wird, stirbt auch Davids "Mutter" bei einem Sturz.

Doch auch für David bricht die Wirklichkeit zusammen: Als sein "Vater" nach dessen Entlassung nach Hause zurückkehrt und in seiner alten, ersten Fabrik neu anfängt, steht David eines Tages dem gesamten Vorrat an Davids gegenüber, die sein "Vater" auf Lager hat. In diesem Schlüsselmoment der Geschichte wie auch des Filmes fällt David in einen anderen Zustand. In der Story versagt sein eingebauter Gleichgewichtssinn, nachdem er sich nur als ein Produkt der Menschen erkannt hat. Nachdem ihn sein "Vater" wieder zum "Leben" erweckt hat, betrachtet David die Geschehnisse als "Traum". Dann fällt er seinem alten Spielgefährten Teddy voll Freude in die Arme – wie damals im "Sommer"...

Diese drei Geschichten schildern in elegischem, symbolreichen Ton die Misere der neuen Mittelklasse der englischen Bürger nach dem Untergang der halben Welt unter den steigenden Ozeanen. Es ist aber auch die permanente Sinnkrise der Mittelklasse: Zu reich, um sich wie die Arbeiterklasse zu solidarisieren, doch zu arm, um sich wie die "total Reichen" (John Brunner) über moralische Bedenken hinwegzusetzen, versuchen Davids "Eltern", die Swintons, den Traum von Familie und Erfolg zu realisieren – und scheitern letztlich mit beidem. David, der Android, dient als Spiegel ihrer Mühen und ihrer Träume. Es ist seine persönliche Tragödie, dass er sich als Produkt erkennen muss, und dass selbst seine Liebe für seine Mutter nur ein Programmcode war.

Diese Stories sind weit von Collodis "Pinocchio" entfernt. Die Verbindung dazu hat erst Kubrick hergestellt und Spielberg dann als integrales Element im Film verewigt.

Die anderen Stories

... sind wesentlich weniger interessant. Grundthema ist der Wandel und die ewigen Konstanten dabei. Sei es nun das Wechselspiel der Geschlechter, das sich unter kosmischen Änderungen wandelt; sei es das permanente Thema der Nahrungssuche (und folglich Vernichtung fremden Lebens), das selbst das noble Unternehmen der Erforschung des Alls in ein moralisches Zwielicht stellt – stets sieht Aldiss die ironisch-kritische Seite der Medaille der menschlichen Zukunft.

"Ein weißer Mars" ist ein als sokratischer Dialog ausgeführtes Vorspiel zu Aldiss' wichtigem Mars-Roman "Weißer Mars – eine Utopie des 21. Jahrhunderts", den er mit dem Wissenschaftler Roger Penrose schrieb (Heyne 06/6350). Eine Sie und ein Er tauschen sich über die Voraussetzungen für die Besiedelung des Mars mit einer idealen Gesellschaft aus. Diese Dialog-Form ohne Handelnde ist nicht sonderlich unterhaltend, würde aber einem Akdemiker sehr entgegenkommen, der Gedankenspiele mag.

Fazit

Aldiss-Fans und Freunde ironisch überspitzter Science Fiction kommen mit der kompletten Sammlung durchaus auf ihre Kosten. Doch alle anderen dürften sich fragen, warum sie für lediglich ein Vorwort und drei Geschichten den Preis für einen anständigen Roman von Larry Niven oder Gregory Benford hinlegen sollen.

Warum ist eigentlich die Schrift so groß gesetzt worden, dass selbst extrem Kurzsichtige sich nicht beschweren können? Man hätte diesen Text auch "normal" setzen und so auf 250 Seiten unterbringen können. So aber kann der Verlag wohl den hohen Preis rechtfertigen.

Michael Matzer © 2001ff

Info: Supertoys last all summer long and other stories of future time, 2001; Heyne 2001, Nr. 01/20078, München; 368 Seiten, DM 15,55, aus dem Englischen übertragen von Usch Kiausch






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